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«…Meine Straße, auch bei Unwetter bist du mir lieb»

Von: 12inster_admin34534

Ein Vortrag von Olga Sidorenko, Bewohnerin der Bunten Reihe seit 1956, gehalten am zweiten Tag des Kolloquiums.

Auf dieser Straße lebe ich mein ganzes Leben lang, mit dem Schicksal meiner Freunde und Verwandten ist sie eng verbunden, hier kam mein Sohn auf die Welt. Die Rede ist von der Bunten Reihe; am südöstlichen Rande der Stadt gelegen, verbindet sie die Kamswyker Allee mit der Chaussee nach Gumbinnen. Auf halber Strecke ist sie von den Bahngleisen durchschnitten.

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Einst war es eine wichtige Stadtstraße, doch heute scheine es, als würde die Stadt Insterburg am Bahneinschnitt schon zu Ende sein und die Bunte Reihe wäre nichts als ein Hinterhof… Die Menschen in unserer Nachbarschaft nennen die Siedlung “Frieda”, wohl in Erinnerung an Frieda Jung, wie einst der Heimatkundker G. Razumnyj vermutete. Die deutsche Dichterin Frieda liegt nämlich am nahen Friedhof beerdigt.

Jeder weiß, daß es früher alles schöner war, die Blumen bunter, das Vogelgezwitscher fröhlicher, die Sonne wärmer. So auch meine ersten Erinnerungen an die Bunte Reihe, da war ich im zarten Alter von eineinhalb Jahren.

Dieses Foto wurde im Garten hinter dem Haus 24 aufgenommen. Im Zimmer im Obergeschoß, hinter dem halbrunden Balkon, wohnte meine Großmutter Helena Petritchenko, die Mutter meiner Mutter. Ich erinnere mich noch an den lauen Sommertag, als man den Fotografen herholte. Alles eilte herbei, mich setzte man im Omagarten auf einen mit weißem Frottier gedeckten Hocker, unmittelbar unter dem Apfelbaum. An die Äpfel dieses Baumes erinnere ich mich noch ganz genau: die Früchte dunkelviolett, mit rosa Fruchtfleisch, sehr süß und saftig. Schüttelte man diese Äpfel in der Hand, rasselten die kleinen schwarzen Glansamen darin wie bei einer echten Babyrassel. Und rieb man ein Apfel mit dem Tuche ab, glänzte es zauberhaft, als ob aus Porzellan. Sie waren eine perfekte Dekoration unserer Weihnachtsbäume: die Mutter nahm immer die kleinsten davon und hängte sie am Schwänzchen auf. In der ganzen Straße gab es keine schöneren und schmackhafteren, nie mehr traf ich diese Sorte. Doch leider ging der Apfelbaum vor etwa 20 Jahren ein, des Alters wegen.

Zurück zum Foto: in den Händen halte ich einen braunen Kunststoff-Teddy, selber trage ich ein rotes Kleid mit weißen Pünktchen — von meiner Mutter genäht. Sie konnte das richtig gut; sie hatte Nähkurse beim Offizierskulturhaus besucht. Zuhause steht noch immer ihre Nähmaschine der Marke “Podolsk”.

Kleidung, besonders für Kinder, war damals schwer zu beschaffen, darum nähte meine Mutter für mich genäht und für sich selbst — weie viele andere Frauen auch. So hatten wir im Hause stets Modezeitschriften mit Bildern von Modellen von Kinderkleidung und auch Erwachsenenkleidung; an einige Modelle erinnere ich mich heute noch.

Die Familie meiner Mutter (meine Großmutter und ihre vier Kinder) kam 1947 nach Insterburg und machte sich in der Bunten Reise ein Zuhause. Ursprünglich waren sie aus der Ukraine, Rayon Lugansk. Alle Familienmitglieder hatten zunächst mit den städtischen Elevatoten verbunden: die Mutter arbeitete als Laborantin dort (eine Aufnahme aus 1947—48)

, die Großmutter als Heizerin , Mutters ältere Bruder Paul als Chauffeur..

Viel später als meine Großmutter schon im Ruhestand war, gab es nri ihr ständig Besuch von den Kollegen aus den Elevatoren, die sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigten, zu den Feiertagen gratulieren, Blumen und Geschenke überreichten. Die Familie wohnte in der Bunten Reihe 24 im Obergeschoß. Auf dem Bild mit meiner Mutter ist eine Etagennachbarin Mascha Litwinowa.

Mit dem Bild ist auch eine Geschichte verknüpft: diese Maria hatte einen Soldaten zum Brieffreund, wie viele in jenen Jahren. Einmal stand dieser Soldat vor Versetzung, oder viellecht kurz vor Urlaub (genaueres weiß ich nicht mehr), und erbat sich von Mascha ein Foto: sie schicke ihm dieses. Der Soldat kam nun in die Stadt und machte sich auf die Suche nach dem Mädchen vom Bildern, allerdings nicht etwa Mascha, sondern meine Mutter — heiraten wollte er sie! Leicht vorstellbar, wie gekränkt die Masha war! Unverrichteter Dinge machte der Soldat kehrt…

Zum Vater : in Rumänien, dann in Deutschland hat er gedient

, 1948 bis 1950 wurde er nach Insterburg versetzt.

Seine Dienststelle war unweit von der Bunten Reihe, in der Kasernenstraße. Als meine Eltern heirateten, war mein Vater nicht mehr in Insterburg, er wurde nach Rayon Kiew versetzt, und dort in der alten Garnisonstadt Belaja Tzerkow kam ich November 1954 auf die Welt. Im Jahre 1955 kehrten meine Eltern nach Insterburg zurück, und bekamen zur Unterkunft ein Zimmer in der Bunten Reihe 8, nunmehr 6. Die Wohnung war geteilt, mit zimmerweise fremden Parteien und gemeinsamer Küche.

Sehr gut erinnere ich mich an dieses Zimmer: meine Mutter nähte die weißen Vorhänge an den Fenstern und dem hohen metallenen Kopfteile der Betten, und ich fand es unglaublich schön und feierlich, daß ich sogar ihre Nachbarin einlud, den Blick mit zu genießen! Die Tür zu unserem Zimmer sah so aus —

oben mit drei geriffelten Gläsern abgeschlossen. Der Ausatzschloß an der Tür schnappte oft selbsttätig zu: einmal, als ich des Mittags im Zimmer schlief, knallte die Tür durch einen Luftzug zu, ohne mich allerdings zu wecken. Die Mutter klopfte und klopfte, doch konnte mich nicht wecken, so tief war mein Schlaf! Man müßte den Vater von der Arbeit holen, der dann eines der Gläser von der Tür abnahm und das Schloß von innen betätigte, um die Tür zu öffnen. Das gelang, und besser noch — ich wachte währenddessen nichteinmal auf!

So sah unsere Familie damals aus. Später nahm ein Regimentsmaker diese Aufnahme als Vorlage, ein Ölporträt meines Vaters zu malen. Mit massiven Leisten gerahmt, hing es lange bei uns  auf dem Zimmer. Irgendwann stellte man es in den Keller ab, und da verfiel es.

Gut kann ich mich an die erste Bekanntschaft mit Kindern der Dunten Reihe erinnern: meine Mutter trug mich auf den Armen aus dem Haus und stand am Hauseingang, als ein Paar Mädchen sie ansprachen. Erst stritten sie untereinander, wer zuerst sprechen solle, und dann frug die mutigere von den beiden, wie denn mein Name sei. Mutter antwortete: “Olilein”, während ich von oben herab auf die Mädchen mit Interesse herunterschaute.

Dieses Bild wurde 1957 in unserem Hof des Hauses №8 (№6) aufgenommen. Der Vater hält mich in seinen Armen. Ich trage dasselbe rote Kleid mit weißen Punkten, bin aber schon ein wenig größer geworden, und das Kleid reicht mir nicht mehr über die Knie. Über unseren Köpfen die Äste des Klarapfel-Baumes, noch vor dem Kriege gepflanzt. Noch lebt es und bringt sogar Früchte, trocknet aber allmählich aus. Rechts sieht man ein Teil des Hofes mit einer Bank an der Wand. Auf der Bank sitzt des Nachbars Großmutter Frau Zharinowa und hält ihre Enkelin Natascha auf den Knien hielt seine, meine Altersgenossin aus der Wohnung 2. Später wurden wir gute Freundinnen, gingen zusammen zur Schule gegangen, wenn auch nicht in dieselbe Klasse, machten zusammen Hausaufgaben, oft mitten im Hauseingang, auf dem Fensterbrett der Zweischenlandung.

Tagsüber waren die Eltern im Betrieb, und wir waren uns selbst überlassen. Ich lernte leicht, hatte lauter “einse”, Natasha hatte es schwieriger, es gab immer wieder auch eine “drei”, wofür ihre Mutter sie oft gescholten, und manchmal auch versohlte. Ich habe es durch die Wand gut gehört, denn wir waren zwischenzeitig von unserer bisherigen Wohnung 1959 in eine andere Gemeinschaftswohnung gezogen, und belegten zwei Zimmer im Erdgeschoß (Wohnung 2). Die Zharinows hatten zuvier ein Zimmer in der gleichen Wohnung zu teilen, und waren von uns nur durch eine zugenagelte Tür getrennt. Später mauerte mein Vater diese Tür zu und trennte die Räume. Damals gab es in fast allen Wohnungen zimmerweise Belegung, in den vier Wohnungen eines Hauses wohnten also acht Familien. Die Ausnahmen bildeten die Familien der Oberoffiziere höheren Ranges oder irgendwelche Amtsvorsteher: sie hatten eine Wohnung ganz für sich alleine. Die Straße war vor allem durch Militärs bewohnt, Neubauten gab es in Insterburg damals überhaupt nicht.

Ein weiteres Bild, am denselben Sommertag des Jahres 1957 aufgenommen: hier stehe ich mit der Nachbarin aus der Wohnung 3, sie hieß Alla Zhukowskaja. Auf dem Boden liegt mein weißes Flechttäschchen. Im selben Hof sieht man im Hintergrund einen Bock, aus dicken Eisenstangen geschweißt, hier sägten mein Vater und andere Nachbarn Holz für den Ofen. Man sieht die Fliederbüsche, sie wuchsen beidseitig des Hauszugangs vom Hof aus. Heute steht nur noch de rechte Busch, unter meinem Fenster. Die Bilder zeigen, daß es hinterm Haus einen Freiplatz gab, eine kleine Hofstelle, und anschließend einen Zaun aus Metallstangen mit Maschendraht. Heute sieht es da anders aus:  (das Photo is vom selben Stand ausgenommen wie dasjenige von 1957).

Hier ist ein Bild meines Gartens aus dem Hof, rechts vom Eingang stehend:

Und so sehen die Stufen aus, der Angang zum Keller und der Durchgang durch ihn: Bis zum Vorjahr waren die Stufen in gänzklich zerstörten Zustand, das Betreten war regelrecht gefährlich, besonders im Winter: einmal eingeschneit, wurden sie zur Rutschbahn.

Doch im vorigen Jahr kam mein Bruder aus der Armee in die Reserve, er war ja in diesem Haus geboren. Als er diese deprimirende Situation  sah, griff er eigenhändig zur Tat und stellte die Stufen und die Landung wieder her. In den Keller ist außerdem der Zementboden dahin, Reparatur ist dringend notwendig, Estrich ist zu gießen.

In meiner Kindheit war die Straße grün und sauber. Am Foto meiner Mutter am Hause 2 sieht man am Anfang der Straße einen Holzzaun mit metallenen Beschlägen .

Von hinterm Zaun sieht man den Preifenstrauch: der blüht auch heute jedes Jahr Anfang Juni, seine weißen Blüten mit gelben Staubgefäßchen verbreiten einen schönen Duft, doch wehe, wenn man sie für ein Bouquet abnimmt — schon wenige Stunden später fallen die Blätter ab. Auf dem Foto sieht man auch die fleckigen Pkatten am Gehsteig, mit sichtbarem Korn: jedes Haus hatte eine solche Zuwegung. Und nun dieselbe Stelle heute:

Als in den 90-er Jahren an der Rostowskaja Straße die Anlagen des Klubs der Armeefreunde DOSAAF entstanden, sah ein jemand darin den Anlaß, auch die Bunte Reihe zu “verschönern”: die Fahrbahn  wurde verbreitet und die Gehwege näher an die Häuser gerückt. Apshalt kam dazu, und die Buckelsteine hat man loser verlegt, um größere Fläche mit der gleichen Anzahl Steine zu belegen. Doch etwa aud der Höhe des Hauses 8 hatte man plötzlich genug davon. So sieht es jetzt aus:

Später legte man Kommunikationskabel zum DOSAAF-Gelände hin, grub dafür einen Graben seitlich am Asphaltstreifen und legte Steigbrunnen an Bild vor dem Hause №6.

Am Ende dieser “Innovationen” sind der Bürgersteig und die Straße verstümmelt. Dabei konnten ein wir, die Mädchen von end-50er — frühen 60er Jahre, einst auf diesem mit akkuraten Zementplättchen belegten Streifen Hickelkasten spielen! Statt Steine benutzten wir Döschen von Schuhwichse oder Bonbons, die wir mit Sand gefüllt.

Bis in die 70er Jahre auf passierte die Straße regelmäßig, mehrmals im Jahr (meist des Nachts) eine Panzerkolonne, schickte schwarze Rauchschwaden in den Himmel. Ihnen folgte ein Zug von Tankwagen für die Truppe. Hinter sich schleppten sie Ketten, die laut ratterten. Manchmal wurden die Panzer auch im Schlepp gezogen, auf Riesenlastern. Vor ihren Gedonnere klirrten die Fenstergläser, und ganze Häuser schüttelte es. Ein paar Tage später zogen die Technikkolonnen wieder zurück, und wieder wurden wir aus dem Schlaf gerissen vor Lärm und Rauch, was auch durch die geschlossenen Fenster drang. Am nächsten Morgen sah man auf dem Kopfsteinpflaster Spuren, von den Panzerketten aufgerissene “Wunden”. Doch es gab auch regelmäßige Reparaturen an der Straße und am Bürgersteig. Des Sommer, wo das Wetter sehr heiß war, kam ein Lastwagen und spülte den Staub weg. Der Morgen begann um 6 in der Frühe mit dem Rascheln von Hausmeister-Besen . Sauber und ordentlich war es, die Straße war grün und gepflegt.

Hier ist ein Auszug aus der Broschüre “Tchernjachowsk” aus dem Jahre 1964

“Die Kinder von der Bunten Reihe wenden sich an ihre Altersgenossen mit dem Aufruf, Insterburg in eine Gartenstadt zu verwandeln. Die Unterzeichner, Laura und Nadia Wetoschkina, Walerik Schapurow, Lüda Awdonina, Tamara und Elia Grachowa, Galja Petrowa, Oleg Rybjakow, Walja Nischeta, Nadja Rawtsowa und Wowa Lawrentjew gingen bereits geschlossen ans Werk, ihre Straße zu begrünen. Sie pflanzten schon Bäume und legten Blumenbeete an.”

Unter den Bewohnern begann so etwas wie ein Wettbewerb: wessen Vorgarten wird am schönsten blühen? Die Stämme der Ahorne entlang der Straße wurden im Frühjahr geweißt. Die Stadtverschönerungsbehörde brachte Buschsämlinge (Spierstauden), die Bewohner setzten sie entlang der Vorgartenzäune, in ihrer Mitte kam ein obligatporisches  Pfingstrosen-, Dahlien- oder Schwertlilien-Bett. Die kommunale Immobilienverwaltung verteilte unter den Bewohnern kleine Holzzäune, etwa einen halben Meter hoch, an allem, die ihre Parzelle ordentlich umzäunen wollten. Zuletzt geschah das im Jahre 1986.

Vor jedem Haus breitete sich ein Rasen aus, von den Hauswarten regelmäßig gemäht. Diese einstigen Grüninseln vor den Häusern zeigen sich so, wie auf den Bildern zu sehen:

da steht vor einem jeden Haus ein oder mehrere Autos allerlei Größe. Vom Gras keine Spur, alles zertreten undn zerfahren. Dabei gebe es keine 50—100m, weiter einen ausgebauten Parkplatz (Gagarinstraße 19), uns es gebe sogar einen Bundesgesetz, welches das Parken auf unbefestigten oder mit Rasen belegten Flächen verbiete.

Von den Gefahren, die von solchem wilden Parken der ganzen Siedlung drohen, urteilen besser die Experten selbst.

Einst war unsere Straße der vielbefahrene Umweg für LKWs von und nach der Gumbinner Straße, was sich auf dem stets zerfahrenen  Belag niederschlug. Später gaben ihr die DOSAAF-Fahrschüler den Rest, don Reparatur ist sie nun weiter denn je: seit es an der Bahnkreuzung einen Unfall gab, machte man aus unserer Straße eine Sackgasse, und arretierte die Bahnschranke auf ewig zu.

Das verrichgerte selbstredend den Verkehrsfluß, doch sowohl die Fahrbahn, als auch die Gehwege sind immer noch in einem beklagenswerten Zustand. Wenn einmal ein Besuch in der Stadt erwartet wurd, etwa zum Rock-Festival, (die Straße führt auf die Festwiese zu), kommen ein Paar Kipplader mit Sand angefahren und kippen es in die Löcher — das war´s! Die nachmaligen Regen spülen den ganzen Sand in die Kanalisation.

Ein weiteres Bild aus den Kindheittagen: ein Pferdewagen fährt die Straße hinauf. Ein Zigeuner, der darin sitzt (es waren aus irgendeinem Grund immer Zigeuner) bimmelt und kündigt sein Erscheinen: er sammelt von den Bewohnern alten Lumpen auf Gewicht, und verkaufte für genannte Summe etwas, was jeder damals händeringend suchte, Metall-Kappen zum Einwecken der Wintervorräte, fürs Eingelegte und Marinierte. Alle unsere Mütter machten sie, und alle bräuchten sie.  Für uns Kinder gab es gegen Lumpen einen Ballon mit Pfeiffe daran oder einen schön glänzenden Ball am Gummizug. Darum schmiß man in unseren Häusern keinen Lappen weg, sondern sammelte sie und hortete, bis der Wagenfahrer wieder bimmelt. An den Wochenenden kamen oft Frauen mit Bauchläden und in Schürzen, und hatten etwas unwahrscheinlich tolles, Karamell-Hähne am Stock, in Gelb und in Rot. Da eilten wir Kinder schnell nach Hause, die Eltern nach Geld für ein oder gar zwei Hähne anzubetteln.

Jede Familie, mit wenigen Ausnahmen, hielt in den n 50er und 60er, manche sogar bin in den  70er Jahren Nutztiere in der Straße: Kühe, Schweine, Kaninchen, Hühner. Schuppen und Scheunen wurden hinter den Häusern, in den Höfen befindet. Nach dem Morgen- und Abendmelken nrachten die Besitzerinnen frisches Milch an den Mann, jede hatte ihren eigenen Kunden. Wir waren auch darunter, erst von Tante Mascha Stoljarowa (Haus 38), dann von Tante Tanja Gorbunowa (18). Für meinen kleinen Sohn nahm ich später Milch von Jarows (Haus 24), Schapurows, Awdonins (Haus 12). Allmählich gab es weniger und weniger Milchhalter bis es letztlich gar keine mehr gab.

Auf dem Bild aus dem Jahre 1960, vor dem heutigen Haus 5 gemacht (damals 7), wir Kinder der Bunten Reihe, meine Altersgenossen. Die 1. Reihe von oben: Ira Dolbisch, Lüba Uschkalowa, Ira Aliyewa. 2. Zeile: ich (Olga Sidorenko), Olga Tschschbakowa, Tanja Uschkalowa. Damals ging keine von uns Kindern der 50er—60er Jahre in den Kindergarten, wir wuchsen alle auf unserer Straße auf, spielten zusammen, waren Freunde. Oft waren ganze Familien befreundet. Meine Eltern waren z.B.  mit der Familie Majors Dolbisch aus dem Hause 7 befreundet, unserem direkt gegenüber. Onkel Sascha, das Familienoberhaupt, hatte eine Kameras und ein ganzes Fotolabor zu Hause; hier sind einige Fotos, die er in den frühen 60ern in seiner Wohnung und auf der Straße gemacht: 

Eines unserer Familienbilder ist an der Stirnseite des Hauses 2 aufgenommen: So sieht es dort heute aus:

Der beliebteste Ort für Spaziergänge und Entspannung für Erwachsene und Kinder späten 50er — frühen 60er Jahre war der Stadtpark in der Kamswyker Allee, der ehemalige Friedhof Insterburgs. Hier bin ich mit meinen Eltern darin, auf einer Lichtung, rechts vom Eingang

Das Kleid nähte mir meine Mutter, eine weiße Bluse mit blauen Schleifchen und einen blauen Rock. Gut kann ich mich ans große Caroussel an der Hauptallee des Parks, an die anderen Anlagen wie “Riesenschritte”, die Schiffsschaukel und andere. Einen Sommerkino gab es, wo Filme in der Abenddämmerung liefen, etwa ab 21:00 Uhr. Die Eltern nahm mich immer mit, und die anderen Kinder, um nicht zahlen zu müssen, schauten sich die Filme von den nahen Bäume an. Einmal gingen wir mit den Eltern in der Dunkelheit nach dem Film nach Hause, und plötzlich sah ich ein schimmerndes Lichtchen am Weg. Ich dachte, es wäre ein Glühwürmchen, lief auf den Leuchtpunkt auf einem Baumstumpf zu, der Vater richtete seine Taschenlampe darauf — es stellte sich heraus, es war nur ein Zunder, wie mir die Mutter erklärte. Meine Enttäuschung kannte keine Grenzen…

In der Tiefe des Parks, rechterhand auf einer Lichtung, wurde eine leichte Sommerbühne erbaut. An den Feiertagen gab es hier Laienkonzerte vom Offizierskultirhaus der Garnison. Unsere Nachbarin, Tante Tanja Nitscheta aus dem Hause № 8 (ehedem Haus 10) hatte da oft Solopartien. Einmal, so meine Mutter, gestattete sich der Ansager einen Ulk, und sprach von einem ukrainischen Volkslied “Schwarze Augen”, oder auf Russisch — braune”.

Später, im Jungpionier-Alter (Mitte der 60er), gingen wir Kinder von der Bunten Reihe und umliegenden Straßen in den Sommermonaten zum Pionierappellplatz, welches von der Pestalozzischule im Park angelegt wurde. Der Platz lag links von der Hauptallee. Jeden Morgen standen wir da an, die Fahne wurde hochgezogen, marschieren in Reih und Glied, lernten die Parolen und die Pionierlieder. Aus weißem und rotem Ziegelschutt haben wir auf dem Boden Pioniersymbole angelegt: den Fackel, den Stern, die Sonne mit Strahlen, usw. Unsere Pionierführerin leitete unsere Spiele und gab beim Liedersingen den Ton an, mit ihr gingen wir ins städtische Kino “Der Stoßarbeiter” (Bahnhofstraße). Des Mittags wurde die Flagge abgelassen und die Führerin nahm sie mit; manchmal wurde es auch einem von uns angetraut, die Flagge zu Hause zu nehmen. Heute sieht der Appellplatz so aus:

.

Heute schaue ich mit Bedauen auf die 6-10-jährigen Kinder: weder spielen sie Ball, noch können sie Seil springen, im bestens Falle sind ihre Spiele lauter sinnlose Kleinschlägereien. Wir hatten ganz andere Spiele, die schulten unser Geschick, unsere Ausdauer, doch vor allem waren sie gutmütig. Kennen sie heutigen Kinder so etwas?.. Ausnahmslos alle, auch die Jungs, drehten bei uns  Hulahups, es war eine populäre Neuheit. Am meisten geschätzt waren die Aluringe, jene aus Kunststoff schätzte man weniger. Oft spielte man “Gorodki”. Um eine ebene Stelle für dieses Spiel zu finden, gingen wir an die Brücke und die Hyppodromstraße, da gab es rechterhand eine deutsche Asphaltstraße, die wir einfach “die Glatte” nannten, zur Angerapp  hinab, und es gab kaum Verkehr, sodaß wir niemalden störten. Die Jungs spielten Fußball im Park, dort legte die Hausverwaltung einen Fußballfeld mit Toren an. “Räuber und Gendarm” war ein weiterer Favorit, da schwärmte man in die umliegenden Höfe und Gärten, schlich in fremde Scheunen, versteckte sich in den Bäumen in anderer Leute Gärten. Nach so einem Spiel kam ich oft nach Hause in einem am Zaun oder Baum zerrissenes Kleid, da gab es von der Mutter gleich etwas auf die Ohren. Im Herbst gab es einen weiteren Spaß: des Tages fegten die Hausmeister riesige Haufen von Ahornblättern zusammen, und wir zundeten sie am Abend an, um dann über sie zu springen! Die Hausmeister wollten uns stets verjagen, von den anderen Erwachsenen gab es Schimpfe, denn der Rauch von diesen Feuern zog bei offenen Fenstern in die Wohnungen, uns ermutigte sowas nur, weiter zu machen. Im Winter lief man Skif in den Feldern hinter der linken (ungeraden) Straßenseite, bei den sogenannten Rote-Flotte-Datschen. Skifer hatten wir hölzerne, aus Armeebeständen. Auch mir brachte mein Vater einmal solche Soldatenskier mit metallischen Schnappbildungen. Alle Kinder hatten Schlitten, wobei die Schlitten mit Rücklehne besonders geschätzt wurden: da konnte man als Kind sich zurücklehnen und keine Angst haben, im Schlepp zum Schlitten zu fallen. Mein Schkitten hatte keine Lehne, doch in den Wehrwerkstätten schweißte man eine an ihn heran: schön halbrund geformt, aus Metall. Weit konnte man mit ihm runtergleiten, wo doch unsere Straße bergab gehe!

Herangewachsen, verbrachten die Kinder unserer Straße buchstäblich den ganzen Sommer an der nahen Angerapp: man mußte nur durch den Park und den Steilhang hinunter, schon war man da. Von Zuhause nahm man etwas Eßbares mit (Gurke, ein Bündel Radieschen, Brot, etwas zu trinken und dazu ein Buch), und schon ging es für den ganzen Tag an den Fluß! Den Laken ausgebreitet, badete man, bis die Haut ganz blau ward, kehrte wieder ans Ufer um zu trocknen und sich zu wärmen, las zwischenzeitig etwas aus dem Buch — und sprang wieder ins Wasser. Schwimmen konnte jeder, es war ein Leichtes, den Fluß zu queren. Begebe man sich heute an die Orte meiner Kindheit, so erleide man einen Schock! Trotz der Fülle der Umweltschutzgesetze kümmere sich keiner um sie und überwache keine ihre Umsetzung. Die ganze Uferkante ist vollgestellt mit Gemüsegärten, Misthaufen und Schuppen, bis ans Wasser heran. Kaum ist man in der Lage, an den Fluß zu kommen: überall stehen Zäune und Hecken! Nirgends ein Platz zum Sonnenbaden, und auch die Wässer sind seicht und schlammig geworden.

In der Mitte der 60er Jahre gab es auf der Straße bei den ersten zwei Familien die ersten Fernseher: bei den Soschtschenkos (Haus 7, Wohnung 2) und bei den Kiselews (Haus 8, Wohnung 4). Wir Kinder bettelten sie oft darum, bei ihnen einen Film oder einen Zeichentrickfilm sehen zu dürfen. Sie haben immer zugestimmt. Wir zogen unsere Schuhe im Flur aus, setzten uns direkt auf den Teppich (die Gastgeber hatten nicht genug Stühle für uns alle) und schauten fern. Im Jahre 1966 saßen alle Männer unserer Straße bei den Soschtschenkos, um das Halbfinal-Fußballspiel der Weltmeisterschaft zwischen der Sowjetunion und Bundesrepublik zu sehen. Was waren unsere Väter für bereisterte Fans! Und wir, die Kinder, fieberten mit. Doch unsere Mannschaft verlor…

Als Kind hatte ich Angst, allein zu Hause zu bleiben. Darum suchte ich nach Ablekung, wenn man mich zu Hause abschloß: malte auf der Fensterbank, knenene etwas aus Plastilin. Einmal dachten die Eltern, ich werde davon kurzsichtig, so nah beugte ich mich an meinen  Album heran, und wollten  Gegegenmaßnahmen ergrefen — die Mutter versteckte, als sie zur Arbeit war, Bleistifte und Alben hoch auf dem Schrank. Doch ich hatte es durchschaut und lernte schnell, mich auf einen schräggestellten Stuhl aufbauend, das Gesuchte wieder vom Schrank zu holen. Vor Mutters Rückkehr legte ich alles ordentlich wieder hin. Später, als ich sieben war, wollten meine Eltern mich auf die Kunstschule schicken, doch es stellte sich heraus, daß dort nur Zehnjährige angenommen werden. Pech gechabt? — mitnichten, denn im im selben Hause in der Wilhelmstraße saß auch die Musikschule, die eine solche Beschränkung nicht hatte. So kam ich auf die Musikschule. Aus Litauen brachte mein Vater mit dem Militärauto einen Klavier der Marke “Smolensk”. “Eine Katze im Sack habe ich gekauft,” erinnerte er sich später, denn das Klavier warde in eine Holzkiste verpackt, von niemalndem zuvor gesehen und nicht geprüft. Soldaten schleppten es Klavier in die Wohnung. Als man die Kiste aufriß und den Packpapier entfernte, verschlug es mir den Atem: ein schwarzes glänzend poliertes Klavier mit einem magischen Muster auf der Vorderseite und silbernen Pedalen stand bei uns mitten im Zimmed! Später kamen andere Kinder von den Nachbarn zu uns mit dem Vorwand, spielen zu wollen.

Gut kann ich mich an den kleinen Lebensmittelladen im Hause 2 erinnern (der Eingang ist jetzt zugemauert),

wo wir Kinder oft hinliefen, um für 10 Kopecken Süßes zu kaufen, etwa die Würfel gepressten Kakaos oder gezuckerten Kaffee. Für dieselben 10 Kopecken konnte man aber auch 100g Dragees haben, oder gefüllte Karamellkissen mit Kakaostreuseln. Manchmal gab es auch Rosa-Briketts von Grützekonzentrat (aus Stärke und Zucker), an denen wir, die Straße entlang laufend, knabberten, bis uns der Magen schmerzte. Unvergeßlich sind die Chruschtschowzeitigen Brotschlangen am denselben Laden: Stunden über Stunden warteten wir, von unseren Eltern vorangeschickt, bis das Brotauto komme. Jeder konnte nur ein Laib haben, sodaß die Verkäuferin bald alle unsere Familienmitglieder auswendig kannte. Später wurde das Geschäft leider geschlossen und der Raum dem Zivilschutz als Ortsstab übergeben. Der Eintritt war frei, und wir Kinder liefen immer wieder hinein, um uns die Bilder an den Wänden anzuschauen, es gab zudem Plakate mit Soldaten im Chemievollschutz, und dann gleich diese Leinen-Overalls mit Kapuzen zu sehen, die Atemschutzgeräte, die Masken usw. Dort sah ich zum ersten Mal den Atompitz — im Modell, versteht sich. Am  Tisch nahe dem Fenster saß da immer fester Mann, der wie ein pensionierter Soldat aussah. Einmal, offensichtlich hat er da neue Schauvorlagen bekommen, wollte er die Vitrine ausschmücken: so sahen wir Kinder eines Morgens mit Schreck einen mit Wunden übersähten menschlichen Kopf mit geschlossenen Augen, lose Beine mit Blasen und in weißen Puschen, verstümmelte Hände mit Spuren von Strahlung und chemischen Waffen. Ältere Kinder begriffen leicht, daß es keine echten Menschenteile seien, doch den Kleineren hat es so einen Schreck eingejagt, daß gar Angst hatten, an den Fenstern entlang zu laufen. Etwa einen Monat gab es diese “erfreuliche” Fensterschau, dann beschwerte sich jemand von den Eltern, und die Stücke wurden ins Innere verbracht. Mitte der 60er machte man aus den RäumlichkeitenWohnflächen. Nacheinander  lebten dort mehrere Familien, bis dei der letzten (Skladtschenko Galina) nicht ein Feuer ausbrach: die Lumpen hinterm Ofen fingen Feuer und der Boden brannte durch. Das Feuer war schnell geölöscht, aber seitdem halten sich die Mieter auswärts, in der in der Memeler Straße 6, Wohnung 32 beigelegt. Der Ladenraum steht leer und verkommt. Durch gebrochene Scheiben kommen Straßenkatzen und hausen darin. Derzeit sieht der Raum dort so aus:

In 60-er Jahren kam Naturgas auf die Straße. Rückseitig entlang der Hausfassaden wurden Rohre gezogen, und Gasöfen in den Wohnungen aufgebaut.

Davor benutzten alle Petroleumkocher oder Primus-Kocher, die rußten sehr. Alle Töpfe waren schwarz vor Ruß, mit Sand oder Natron hatte man sie unentwegt zu reinigen. Manchmal ging auch der Kerosintank im Kocher plötzlich in Flammen auf und mußte eils gelöscht werden, zuweilen ging es nicht anders, als ihn schnell aus dem Fenster zu werfen, in den Hof zu einen und da zu löschen. Im Winter heizten man den Küchenofen auf:

In unserer Wochung hatten wir eine Kochmachine mit weißen blaugfepunkteten Kacheln. Auf dem Herd gab es zwei Heizplatten mit metallischen Kreisen, da setzte man Töpfe beim Kochen. Ein Metallrohr ging an die Kochmachine heran, wohl ein Gasrohr von vor dem Kriege: zu meiner Zeit heizten wir nur mit Kohle und Brennholz. An der Seite hatte die Kochmachine einen Backofen hinter einer Schwingtür — daran hatte sich mein zweijähriger Bruder sich einmal beim herumrennen einen starken Riß geholt, die Narbe blieb, auch als die Wunde verheilte. Die Kochmachine war an der Seite ,it dem Heizofen verbunden, wobei  eine Seite des Ofens schon im Nachbarzimmer stand. Mit der Größe von bloß 8 qm wird es wohl ein Kinderzimmer gewesen sein. Meine Eltern nahmen die Kochmachine heraus, sobald man Gas in die Wohnungen bekam, und bieließen nur den Ofen. Die Vorkriegs-Gasleitung an der Wand zum Hern verlaufend, schnitt man heraus. Viele Bewohner entfernten auch die drei bis dahin vorhandenen Öfen, uns sattelten auf Heizkessel oder Eletrik um. Im ursprünglichen Zustand sind heuten die Kochherde nur im Hause 10, Wohnung 3, und im Haus 7, Wohnung 1.

Mitte der 70er Jahre hat man die undichten Dächer auf der Straße repariert, und dabei an einigen Stellen die Dachziegeln mit Wellasbest ersetzt (im Bild das Haus 5).

Die Bewohner unseres Hauses 6 lehnten solche Umgestaltung ab. Daraufhin verschwand vom Dach die Gaube, und die so entstandene Lücke wurde mit Dachziegeln geschlossen. Andere Häuser verfuhren ähnlich.

Ein paar Jahre zuvor hat man an der Fassade Kabel gespannt, und die Hauswände damit verunziert:

Eines Wortes sind auch die sogenannten Fachleute der städtischen Wasserwerke würdig. Vor zwei Jahren war bei uns im Hause die  Kanalisation verstopt (ein Nachbar aus der Wohnung 3 spülte die Reste seiner Renovierung da hinunter), und die Keller sind überflutet worden. Ohne viel nachzudenken, riefen wir die Wasserwerke an. Gekommen waren sie zwar, doch ohne Werkzeug, einem fexiblem Draht von gehöriger Länge. Da namen sie ein Brecheisen und schlugen ein Loch im Regenwasserrohr, was sie mit der Kanalisation auf diese Weise kurzschlossen! Die Grube mit dem Regenrohr liegt in “meinem” Kellerbereich, ich kämpfte für den Erhalt der anstandslos zu gebrauchenden Keramikrohre, doch wurde sanft zur Seite geschoben: vor meinen Augen zerschlugen sie rücksichtslos das Rohr, legten ein Stück Dachziegel oben drauf, begossen das ganze mit angeblichen “Flüssigglas”, und hielten ihre Arbeit für erledigt. Seitdem steht mein Keller bei Regen stets unter Wasser, alles modert, und Horden von Insekten nisten darin. Ein weiteres Problem kam seit einiger Zeit bei den Bewohnern der Erdgeschosse auf: die Rotameisen-Plage.

Alle Kinder von der Bunten Reihe gingen auf die Pestalozzischule in der Kasernenstraße. Jede Schule hatte damals einen Schulbezirk, Kinder aus anderen Nachbarschaften hatten keinen Zugang.

Im Jahre 1962 wurde ich eingeschult:

Im gleichen Jahr wurde mein jüngerer Bruder geboren. Auch er wuchs in der Bunten Reihe auf, auch er ging auf die Pestalozzischule. Auf dem Foto stehen wir mit meinem Bruder an unserer Schule: .

Die neuen Bewohner, aus Zentralasien umgesiedelt, gestatten sich eigene “Designer”-Eingriffe ins Äußere der Bunten Reige. Bei sträflicher Mißachtung seitens der städtischen Immobilien- und Architekturbehörden machten sie aus der Bunten Reihe die Flickschuster-Reihe.

Die Hausmeister sind in der ganzen Straße abgeschafft worden, Müll wird seit Monaten nicht ausgefahren, obgleich wir ist regemäßig die Beiträge für die Reinigung der Hausgrundstücke auf unseren Rechnungen vorfinden.

Leider altern die Häuser, dem Menschen ähnlich. In meiner Zeit, und das sind mehr als 50 Jahre, gab es in unserer Straße keine Grunderneuerung. Die Ziegeldächer sind leck, die Dachrinnen verrostet, der Putz in den Eingängen platzt ab und fällt zu Boden, Gemeinschaftsbereiche sind über 25 Jahre land nichteinmal pinselsaniert worden, und was die Türen auf dem Dachboden anbetrifft, so sind sie überhaupt die gestrichen worden! In den Kellern sind die Zementestriche kaputt, die Eingangstüren zu den Häusern und in den Häusern zu den Keller sind beschädigt, davon kommen die Feuchte. Die Regenableitung ist verstopft.

Vor dem Krieg hatte die Straße einen schönen romantischen Namen, die “Bunte Reihe”. Den Namen gab man ihr, weil ihre Häuser in unterschiedliche Leuchttöne gehüllt waren, die für fröhliche, sonnige Stimmung bei jedem, selbst den grimmigsten und trüben Wetter sorgten (noch in den 60 Jahren erkannte man die ganze Farbpalette ohne Müh; auch heute ist es noch möglich, wenn man ganz nah an die Wand geht und genau hinsieht). Sie folgten sie einander an der rechten Seite der Straße (gerade Hausnummern):

  • Haus № 4 — gelb,
  • № 6 — blau,
  • № 8 — gelb,
  • № 10 — rot,
  • № 12 — gelb,
  • № 14 — rot,
  • № 16 — gelb,
  • № 18 — blau.

Auf der gegenüberliegenden ungeraden Seite standen ihnen die Häuser spiegelgleich gegenüber, und zwar:

  • № 3 — gelb,
  • № 5 — blau,
  • № 7 — gelb,
  • № 9 — rot,
  • № 11 — gelb,
  • № 13 — rot,
  • № 15 — gelb,
  • № 17 — blau.

Wie die vielen Bewohner der Bunten Reihe, habe ich ihren Sowjetnamen (Elevatorenstraße) nie gemocht, es war mir viel zu technisch, mißklingend und einfach unschön! Es sagt nichts weiter, als daß es hier städtische Elevatoren gebe — um wieviel besser ist der Urname, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts bei der Erbauung gegeben, ein Name, der das Aussehen der Häuser wiederspiegele, ihr “Buntes Bauen”. Die Elevatoren kamen viel später, erst 1936, und stehen zudem ganz am Ende, nahe der Gumbinner Straße und der Hyppodromstraße. Historisch gerecht wäre es, der Straße nicht nur ihr Erscheinen, sondern auch den Namen amtlich zurückzugeben. Ich denke, die Bewohner meiner Straße unterstützen mich dabei.

Fast alle Wohnungen in der Bunten Reihe sind jetzt Eigentumswohnungen. Im Februar 2010 unterbreitete man uns Hausbesitzer das Angebot, einen Vertrag mit der Verwaltungsgesellschaft Insterburg anzuschließen, damit sie die Häuser betreuen, doch der Vertrag war nicht ohne Haken. Im Artikel 3.2., “Rechte der Verwaltungsgesellschaft“, stand es:

“3.2.4. Nach Beschluß der Besitzerversammlung habe die Gesellschaft das Recht, Wohnungen, Keller und Dachböden, und auc das Dachgeschoß des Mehrfamilienhauses zu vermieten.

3.2.5. In Abstimmung mit der Besitzerversammlung habe die Gesellschaft das Recht, auf eigene Kosten neue Wohn- und Nutzräume an die bestehende Bauten heranzubauen. Diese Neubauten gehen dann in den Eigentum der Hausverwaltung über.”

Wie paßt so etwas zum besonderen Status der Straße?..


Abschließend möchte ich einige Fünde erwähnen, die bisher an der Bunten Reihe auftauchten:

  • ein Türschild im Haus 2, Wohnung 2 (OG)
  • einige Gegenstände im Haus 8, Wohnung 3
  • eine “Singer”-Nähmaschine im Haus 22, Wohnung 2 (OG)
  • einige Fliesen im Haus 22 an der Einfahrt zur Tiefgarage 

Ein Kommentar zum Eintrag “«…Meine Straße, auch bei Unwetter bist du mir lieb»”

  1. Königsberger Eisenbahnverwaltung 14.10.2010 14:12

    Literarisch umgearbeitet, brachte der Vortrag seiner Autorin, Frau Olga Sidorenko, den Sieg im Kreativwettbewerb russischer Eisenbahnen, der dem Tag des Lehrers gewidmet war.
    Olga Sidorenko ist Erzieherin des Kindergartens №31 des Bahnhofsbezirk Insterburg der Königsberg-Direktion der Russischen Eisenbahn AG.

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