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Tschernjachowsks grünes Erbe

Von: 12inster_admin34534

Ein Einführungsvortrag, von Professor Jürgen Wenzel bei der Eröffnung des Landschaftssminars gehalten.

„Das kulturelle Erbe Insterburgs als Entwicklungsquelle Tschernjachowsks“: das Thema des Insterjahres bezeichnet ein mutiges und ein notwendiges Vorhaben. Denn sich mit einem Ort identifizieren zu können, seine Geschichte zu kennen, ist die Voraussetzung dafür, ihn als Heimat zu erleben, sein Erbe wertzuschätzen und zu pflegen und dafür Verantwortung zu übernehmen.

Es geht aber nicht nur darum die Bewohner der Stadt mit ihrer Umwelt zu versöhnen, sondern auch darum, die Stadt zukunftsfähig zu machen. Die wirtschaftliche Basis von Tschernjachowsk ist mir nicht bekannt.

Einst waren Pferde Ostpreußens Reichtum und Ruhm.


Mit dem neuen Georgenburg knüpft man an Insterburgs einstige überregionale ja internationale Bedeutung als ostpreußisches Zentrum der Pferdezucht und des Pferdesports an, der Versuch scheint erfolgreich zu sein.

Die Landschaft gehörte einst zu den fruchtbarsten in Deutschland und Insterburg war ein landwirtschaftliches Zentrum.

Welche Bedeutung hat die Landwirtschaft heute?

Die Erscheinung einer Stadt, ihre Kultur, ist heute ein nicht unwesentlicher Standortfaktor in der internationalen Städtekonkurrenz um Investoren. Tschernjachowsk hat ein weitgehend intaktes Stadtbild aus dem 19. Jahrhundert (Wilhelmstraße), eine interessante Topographie und historische Bausubstanz, das alte Zentrum ist allerdings zerstört.






Als wichtigste Resource einer Stadt gelten heute jedoch ihre kreativen, einfallsreichen Köpfe. Die jährlichen Schloßspiele besonders aber das Insterjahr sind solche wichtigen Impulse. Ich wünsche Ihnen noch viele Smirnovas, Oglesnev, Iwanowa, Suchin und Koslow und natürlich Investoren, wie den von Georgenburg. Auch kleinere Initiativen, wie das Projekt von Wladimir Simen für einen Radclub „Velo Insterburg“ sollte die Stadtverwaltung aufgreifen und fördern.

In einem Baucolloquium haben Sie bereits über den Umgang mit der historischen Bausubstanz diskutiert – mit großer Resonanz und mit Erfolg wie ich hörte. Dmitry Suchin hatte Sie darauf aufmerksam gemacht, dass der bedeutendste deutsche Architekt der Nachkriegszeit Hans Scharoun in Insterburg seine Laufbahn begann und hier einige Bauten hinterlassen hat. Ich möchte ihren Blick auf Insterburgs Grünanlagen lenken, auch sie sind etwas besonderes. Die Zeitspanne in der sie entstanden, das erste Drittel des 20. Jahrhunderts ist die goldene Zeit der Freiraumplanung und Gartenarchitektur in Deutschland gewesen. Zu keiner Zeit weder zuvor noch danach war diese Planungsdisziplin so erfolgreich. Gründe dafür sind die Naturbegeisterung der damaligen  Lebensreformbewegung, die ein einfaches gesundes Leben in und mit der Natur propagierte. Das Wohnen und der Aufenthalt im Grünen, Vegetarismus, Naturheilkunde und Sport erfreuten sich bei der Bevölkerung einer hoher Wertschätzung, ein weiterer Grund war  die soziale Reformfreudigkeit  der nun nach dem 1 Weltkrieg regierenden Sozialdemokratie. Insterburg hatte damals einen weitsichtigen, klugen Oberbürgermeister, den Dr. Rosencrantz. Bereits 1917 richtete er in Insterburg eine eigene Gartendirektion  ein und besetzte sie mit dem jungen Hugo Kaufmann, der dieses Amt 14 Jahre lang leitete.

Hugo Kaufmann in seinem Dienstzimmer

Kaufmann hat die Freiraumstruktur der Stadt grundlegend neu gestaltet, z.B. seine Teich- und Stadtparkanlagen und den Hauptfriedhof.

Insterburgs Grundriß bevor Kaufmann tätig wurde



Er hat einen neuen großen Sportpark geschaffen, ein Freibad gebaut und ein in der Fachwelt berühmtes Turniergelände für den Pferdesport. Er richtete eine Stadtgärtnerei und an der Gewerbeschule eine Fachklasse für die Gärtnerausbildung ein und schließlich legte einen botanischen und einen kleinen zoologischen Garten an. Kurz Insterburgs Gartenamt leistete für die damalige Zeit vorbildliches. Nur wenige deutsche Städte konnten Vergleichbares bieten.

Ich habe viele Jahre über die 20er Jahre und über den bedeutendsten deutschen Gartenarchitekten  dieser Zeit über Erwin Barth geforscht, der vorwiegend in Berlin tätig war. Erwin Barths Erfolg gründete auf zwei Voraussetzungen: er hatte die damals älteste und berühmteste europäische Ausbildungsstätte in Berlin u. Potsdam besucht, an der hervorragende  Lehrer tätig waren. Und als junger Absolvent hatte er wiederholt bei dem damals fortschrittlichsten Gartenenarchitekten, dem Gartenamtsleiter Julius Trip in Hannover gearbeitet. Trip wollte nicht mehr grüne Ornamente für den Spaziergang der Bürger schaffen, sondern  mit seiner Arbeit einen sozialen und städtebaulichen Beitrag leisten. Als ich begann mich mit Kaufmann zu beschäftigen  fielen mir erstaunliche Paralellen und Ähnlichkeiten  zu Barth  auf. Barth wie Kaufmann besaßen offenbar die gleiche Überzeugung von der sozialhygienischen und sozialpädagogischen Bedeutung ihrer Profession, das erklärt  ihr Engagement, ihre Überzeugungskraft und ihr Durchsetzungsvermögen. Beide begriffen ihre Arbeit als Stadtsanierung,  beide zeigten die gleiche Auffassung von der Bindung der Form an ihre Funktion, die gleiche Formstrenge.und eine ähnliche Graphik. Die Ähnlichkeiten und Paralellen sind jedoch weder erstaunlich noch zufällig, denn Kaufmann hatte nicht nur dieselbe berühmte Hochschule in Berlin u.Potsdam besucht, allerdings einige Jahre später als Barth, sondern, wie ich herausfand, hatte er auch bei Trip in Hannover gearbeitet, sogar zeitgleich  mit Barth, der dort wiederholt tätig war. Vermutlich  haben sie sich also sogar persönlich gekannt. Zwei Beispiele sollen die behauptete Ähnlichkeit demonstrieren, wobei ich bei Kaufmann nur auf wenige Veröffentlichungen zurückgreifen kann, denn ich habe erst begonnen  seinen weiteren Lebensweg zu erforschen.

In der alten Hansestadt Lübeck hatte bereits 1905  ein Lehrer darauf aufmerksam gemacht,dass die üblichen Schülersportwiesen keinen Unterricht in den Leistungssportarten gestatten. Nach jahrelangen Diskussionen durfte der junge Stadtgärtner Barth in den alten Wallanlagen  Lübecks Deutschlands ersten kommunalen Schülersportplatz anlegen.

Buniamshof: Er besteht aus mehreren Spielfeldern für Ballspiele, umrundet von einer Lauf- und einer Radrennbahn, einem Turnplatz mit Gerätehaus einer kleinen Tribühnenanlage und einem Kinderspielplatz, benachbart hat er eine Baumschule angelegt. Nach der Fertigstellung hat Barth diese seine Arbeit 1914 in der Gartenwelt der Fachöffentlichkeit  bekannt gemacht.



Kaufmann hat seinen Sport- und Jugendpark zwischen 1917 und 1920 gebaut und 1920 in der Gartenwelt veröffentlicht.

Jugend und Sportpark in Insterburg, der Lageplan, Kaufmanns Entwurf: eine 670 m lange Laufbahn umschließt die Ballspielplätze. Für eine große Tribühnenanlage und ein zentrales Bauwerk wurden die vorhandenen Höhenunterschiede geschickt genutzt.  Auch für das Freilichttheater gibt es ein Barthsches Vorbild. Es dürfte im kalten Ostpreußen sowenig funktioniert haben wie in Berlin.

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Während das reiche Lübeck für diese neue AufgabeSchulsportanlage  nur wenig Geld zur Verfügung stellte, konnte Kaufmann in Insterburg über eine größere Bausumme verfügen, die Notwendigkeit solcher Investitionen war mittlerweile unstrittig.

Auch in Deutschland drohte 1918 eine Revolution. Die regierende Sozialdemokratie mußte daher rasch deutlich sichtbare Erfolge ihrer Politik vorweisen und das konnte sie mit neuen Freiräumen, die sich, wie gesagt, einer hohen Wertschätzung erfreuten. Die Investitionskosten, der Bedarf an Material und Technik sind vergleichsweise gering und man kann viele ungelernte Arbeitskräfte beschäftigen. Daher eignet sich der Bau von Parkanlagen, Freibädern, Spiel- und Sportanlagen hervorragend zur Demonstration tatkräftiger, erfolgreicher Politik. Einer der das sofort begriffen hatte und ausnutzte war Charlottenburgs Stadtgartendirektor Erwin Barth. Er war 1912 Stadtgartendirektor dieser selbständigen Nachbarstadt Berlins geworden. Sie galt als die reichste preußische Stadt, 1920 wurde sie ein Bezirk von Berlin und ist heute Berlins sogenannte Westcity. In Charlottenburg lebte übrigens eine große Kolonie russischer Revolutionsflüchtlinge. Wladimir Nabokov zB. verdiente sich hier seinen Lebensunterhalt als Tennislehrer.  Vor dem Krieg, vor 1914 hatte die Bodenspekulation die Ufer eines am Stadtrand gelegenen kleinen Natursees bebauen wollen, denn Wassergrundstücke waren besonders gut verkäuflich.

Bebauungsplan von 1912, es gibt keinen umlaufenden Weg am Wasser, die Mehrzahl der Grundstücke gehen bis ans Wasser, es verbleibt  nur eine kleine Grünanlage.

Unmittelbar nach Kriegsende nutzte der junge Stadtgartendirektor die allgemeine Apathie, setzte einen neuen Bebauungsplan durch, verhinderte das Abholzen des vorhandenen Baumbestandes  und schuf ohne viel Geld , mit Abbruchmaterial und Arbeitslosen einen wunderbaren kleinen Park. Der Lietzensee wird durch eine der Hauptverkehrsachsen Berlins zweigeteilt, seine Uferlinie ist straff geführt und befestigt. Die einzige ebene Fläche ist als Spielwiese vorgesehen.


Der Bebauungsplan von Barth, ohne Uferrandbebauung, eine große Spielwiese, einige Sondergärten und eine große Kaskade. Die Kaskade wurde vom Denkmalamt  vor Jahren restauriert, im Moment wird sie auf einen ökologischen Betrieb umgestellt.





das ist der enge Durchlaß unter der Kantstraße, die Verbindung der beiden Seehälften. Für eine großzügige Unterquerung hatte man nach dem Krieg kein Geld.



der Bootsverleih, das Restarant und die Kaffeeterrassen


Anläßlich der Einweihung berichtete die Presse enthusiastisch von dem üppigen amethystfarbenen Irrisgürtel, der das Seeufer saumt, von farbenglühenden Rosenhängen und duftenden Flieder- und Jasmingruppen und zeigte Bilder von glücklichen Kindern.. Der Park wurde 1920 eingeweiht und noch im gleichen Jahr in der Gartenkunst vorgestellt. Er hat bis heute an seiner Beliebtheit nichts eingebüßt. In den letzten Jahren sind einzelne Partien durch die Denkmalpflege restauriert worden, zB. die große Kaskade. Eine kleine Anmerkung zur Denkmalpflege: seit den 80er Jahren hat sie  an Bedeutung und Einfluß gewonnen.

das ist der vor Jahren liebevoll restaurierte Viktoria-Luise-Platz in der Nähe meiner Wohnung. Mehrsprachig wird auf jedem Rasenstück darum gebeten, ihn nicht zu betreten. Die Befürchtungen, dass die Großstadtjugend die restaurierten Anlagen nicht achtet sind nicht eingetroffen, sie benutzt sie nur anders,wie man sieht. Denkmalpflege muß genau, sie darf aber nicht dogmatisch sein.


Insterburgs Stadtgartendirektor hatte in den ersten Jahren seiner Amtszeit den Turnierplatz, den Hauptfriedhof und den Jugend- und Sportpark geschaffen., erst danach widmete er sich dem großen innerstädtischen Grünzug, der die Teichkette beinhaltete.  Diese von den Ordensrittern im 14. Jahrhundert aufgestauten Gewässer der Tschernuppe, dienten der Betreibung  von Mühlen, der Fischzucht und bis 1905 als Vorfluter für die wachsende Siedlung. Kaufmann ersetzte den Damm auf dem die Königsberger Straße verlief, durch eine Brücke und verband so den Gawehnschen mit dem Schloßteich.

Gawehnscher Teich “alter Zustand”

der verlandete Schloßteich “vor Umgestaltung”


Plan der “Umgestaltung der Stadtteiche und des Schützentales zu Insterburg” und Schnitte

Verbindungsgraben und Brücke im Bau, der schwarze Strich zeigt den künftigen Wasserspiegel an

Kaufmann entschlammte die Teiche und verfüllte mit dem Schlamm (110 000 cbm), vermischt mit Müll und Torf die sumpfigen Uferbereiche und bepflanzte sie . Die Uferkante wurde mit einer Doppelreihe von Kiefernstämmen , zwischen die Sand aufgefüllt war, befestigt.

Uferbau Schloßteich

In Insterburg erfreute sich das winterliche Schlittschuhlaufen großer Beliebtheit.  Die Wasserflächen wurde von Kaufman daher so ausgeformt, dass sie verschiedene Lauftechniken  — Rundlauf, Schnelllauf, Kürlauf usw — sowie den Eislaufunterricht und das Eishockeyspiel ermöglichten.

Eisbahn und Zugang zum Umkleidegebäude, dem Eisclub

“Gawehnscher Teich bei Umgestaltung” man beachte die strenge geometrische  Formgebung

Verbindung zum Schloßteich und “Gawehnsche Axis”

Uferpromenade am Gawehnschen Teich und Gawehnsche Bootsfahrt

der Teich heute, (Jungs spielen) unter der Brücke.

Die größte Wasserfläche des Schloßteichs war auch als Spiegelweiher  für das Schloß gedacht.

Im Schützental lichtete Kaufmann den Baumbestand auf, verwandelte ein Sumpfloch in einen kleinen Teich, regulierte das Fließgewässer, baute Wege, legte einen Kinderspielplatz an und schuf so aus einem verwilderten Gehölz einen kleinen Park. Auch Kaufmann realisierte  diese Anlage vorwiegend mit Arbeitslosen, fertiggestellt wurde sie 1928 und in der Gartenkunst 1929 veröffentlicht.

Grundriß Parkachse

die gebaute Achse

regulierter Wassergraben im Schützental

der Bacherteich

der Kinderspielplatz

Schon die gezeigten Beispiele belegen, dass hier zwei Brüder im Geiste tätig waren. Um  Erwin Barth zu ehren wurde in Berlin ein Platz nach ihm benannt, es gab immer wieder Ausstellunngen seiner Zeichnungen und kunstgeschichtliche Führungen zu seinen Anlagen. Seine Anlagen werden von der Denkmalpflege  restauriert und gepflegt und ich habe eine 500 seitige wissenschaftliche Darstellung seines Werks verfaßt. Ich denke, dass auch Kaufmanns Werk Respekt und Anerkennung verdient.  Das Gesicht der Stadt Tscherjachowsk würde gewinnen, wenn sie seine Anlagen  als Denkmale restauriert und pflegt.

Heute wird einerseits die kulturelle Bedeutung der städtischen Freiräume hervorgehoben, andererseits ihre stadtgliedernde Funktion, die der Funktionalismus betont hatte, ökologisch modifiziert. Neben dem Bewahren des kulturellen Erbes gilt es daher das Freiraumsystem der Stadt kreativ weiter zu entwickeln.


Abschließend möchte ich noch auf eine Gemeinsamkeit  hinweisen, beide hatten Schwierigkeiten mit den Nazis. Erwin Barth hat sich auf dem Höhepunkt seines Wirkens, 53 jährig, im Jahr von Hitlers Machtübernahme 1933 erschossen, sein Sohn vermutete, dass ihn die Nazis bedrohten. Hugo Kaufmann hatte 1931 die Leitung des Gartenamtes von Magdeburg übernommen. 1938 jagten die Nazis ihn, wegen ideologischer Unzuverlässigkeit  aus dem Amt.

Magdeburgs Gartenamt feiert 2013 sein 150 jähriges Jubiläum und wird dazu voraussichtlich Kaufmanns Arbeiten für Magdeburg bekanntmachen und würdigen. 2017 feiert das Gartenamt von Insterburg/Tschernjachowsk sein 100 jähriges Jubiläum, vielleicht gelingt es ja der Stadt, bis zu diesem Termin Kaufmanns Anlagen in alter Schönheit wiederentstehen zu lassen, ich bin Ihnen gerne dabei behilflich.


„Heimat, Natur und Weltstadt. Leben und Werk des Gartenarchitekten Erwin Barth“, Dietmar Land, Jürgen Wenzel, Leipzig, 2005.

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