“In Ketten gelegt” – Konflikte im Denkmalschutz
Ein Votrag Wilfied Wolffs, gehalten am dritten Tage des Kolloquiums
Im folgenden Vortrag soll anhand eines Beispiels gezeigt werden, wie wichtig das gegenseitige Verstehen von Bauherr und Behörde ist, wie Konflikte vermieden und entschärft oder auch gelöst werden können.
Nach einer Darstellung der Ausgangslage, des Konfliktes, der anschließenden Einarbeitung in die Probleme sollen die Schritte zur Lösung des Konfliktes dargestellt werden. Ich werde versuchen mich kurzzufassen und werde viele Details weglassen.
Hier meine sehr verehrten Damen und Herren sehen sie bereits die angelegten Ketten.
Das gesamte Treppenhaus ist in Ketten gelegt. Was war passiert? Worum geht es?
Im Juni 2008 klingelte unser Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Rechtsanwalt: “Wir haben gehört, Sie machen da was mit Denkmalschutz. Wir haben hier ein Problem.”
Die Problemlage, oder besser die Fronten, waren schnell geklärt.
Der Bauherr hatte beim zuständigen Bauamt einen Antrag auf Errichtung eines Aufzuges in seinem Treppenhaus gestellt, im Jahre 2005.
Das Bauamt hatte abgelehnt.
Der Bauherr hatte Widerspruch eingelegt.
Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.
Der Bauherr hatte trotzdem gebaut.
Und nun lag er in Ketten, bzw. seine Treppe.
Der Bauherr versteht die Welt nicht mehr. Seit 90 Jahren ist das Gebäude in Familienbesitz. Statt glücklich empor zu schweben, er und seine 85-jährige Mutter, sieht er sich einem angedrohten Bußgeld von 500.000,– EUR und einer Ersatzvornahme von vorerst 5.000,– EUR, zuzüglich Anwalts- und Gerichtsgebühren, gegenüber.
Beide Seiten waren bereit zum Kampf, um es einmal so bildhaft zu formulieren.
Glücklicherweise hatten wir einen klugen Anwalt, der nicht in erster Linie sein Honorar sah, sondern auch das Wohl seines Mandanten.
1. Schritt, Einarbeitung in die Historie
Am 1.7.2005 beantragte der Bauherr den Einbau eines Aufzuges u.a. für seine betagte Mutter.
Das Bauamt hatte mit der Begründung abgelehnt, daß es sich um eines der wenigen noch erhaltenen runden Treppenhäuser handelt und kein öffentliches Interesse erkennbar ist, für eine oder einzelne Personen den Verlust dieses Denkmals in Kauf zu nehmen.
2. Schritt, Anhören der jeweiligen Argumentation
Hauptargumente des Bauherren
- Es ist mein Haus
- Seit 90 Jahren haben wir das Haus Instandgehalten und immer wieder riesige Summen zur Erhaltung und Verschönerung ausgegeben.
- Seit wann sind ein paar Holzstufen mehr Wert als ein Aufzug für die alten Damen, die hier im Haus wohnen
Hauptargumente der Denkmalpflege
- Dieses Treppenhaus hat einen selten guten Erhaltungszustand mit Holzstufen, geschnitzten Geländerpfosten, Oberlicht und sogar noch Verzierungen unter den Treppenläufen.
- Es ist kein öffentliches Interesse erkennbar für ein oder zwei Personen das Treppenhaus zerstören zu lassen, wie es bei einigen Holzteilen ja schon begonnen wurde
- Man kann nicht ein filigranes ausgearbeitetesTreppenhaus mit einer völlig unsensiblen Stahlkonstruktion zubauen und nebenbei noch reihenweise die Stufen abhacken, nur weil gerade etwas nicht paßt
3. Schritt, Waffenstillstand
Nach intensiven Gesprächen mit den Beteiligten kommt es zu einer vorläufigen stillschweigenden Übereinkunft weder seitens des Bauamtes zu vollstrecken, noch seitens des Bauherren zu klagen.
Jetzt sind wir dran.
4. Schritt, Das Objekt
Wir versuchen nun zuerst uns mit dem Objekt bekannt zu machen.
Das Wohnhaus von außen: Das 4-geschossige Eckgebäude mit fast vollständig ausgebautem Dach weckt schon von seiner äußeren Erscheinung das Interesse des Betrachters.
Die Fassade ist reich ornamentiert.
Im Inneren finden wir
- einfach gestaltete Räume, in einigen Küchen die Original Dielung und Fliesen im ehemaligen Bereich des Herdes.
- in einigen Wohnungen noch die schmiedeeisernen Türen vor den Feuerungsstätten
- aber auch aufwändiger gestaltete Räume mit Stuckrosetten um die Lampen, Stuck an den Decken in Wappenform so filigran, daß man an Holzschnitzereien denkt. Und einen schönen Kachelofen haben wir auch noch
- Krönung des Ganzen ist diese Decke. Mit diesen Bildern erkennen wir endgültig, daß wir es mit einem Gebäude zu tun haben, daß mehr ist als nur ein Wohnhaus.
Soweit zum Wohnhaus im Allgemeinen. Kommen wir nun zum Treppenhaus im Besonderen.
Der Blick Richtung Treppenhaus und der Blick Richtung Eingang.
An der Decke Kreuzgratgewölbe, seitlich Spiegel , beidseitig natürlich, und für jeden Bogen die entsprechenden Auflagerkonsolen.
Ein paar Details aus dem Treppenhaus
Am Anfang die bereits eingebaute Stahlkonstruktion für den Aufzug, oben eine Lichtkuppel, das Treppengeländer und Fenster mit Spitzbogen als Verbindung zum Treppenhaus des Nachbarhauses.
Wir stellen fest:
- Dieses Gebäude ist ein Gesamtkunstwerk. Das Treppenhaus ist ein Teil davon.
Wir stellen weiter fest:
- Die Denkmalpflege hat recht, daß es gilt, dieses Gesamtkunstwerk zu schützen und zu erhalten. Es gibt ein öffentliches Interesse.
Wir stellen aber auch fest:
- ohne permanente und permanent aufwändige Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen durch den Eigentümer würde sich dieses Gebäude nicht in einem so hervorragenden Zustand befinden.
Und wir erkennen, insbesondere auf dem Bildern der letzten Gruppe, daß die bisher eingebaute Stahlkonstruktion massiv eingreift in die Lichtverhältnisse, in die Proportionen und in die Substanz.
5. Schritt, Erfassung des Objektes
Wir sichten den Schriftverkehr und stellen fest:
Zeichnungen, Bestandspläne, denkmalpflegerische Dokumentation des Bestandes, detailierte, dem Objekt angemessene Planungen, sind praktisch nicht vorhanden.
Wir beginnen das Gebäude aufzunehmen.
Zunächst werden Bestandsunterlagen erstellt. Für alle Geschosse werden die Wohnungsgrundrisse und die Mieterstruktur aufgenommen und dargestellt. Zwischen 60 und 200 m2 sind alle Wohnungsgrößen vertreten. Die heutige Struktur ist das Ergebnis 120 jährigen, ständigen Anpassens an immer wieder veränderte Anforderungen.
Das erste überraschende Ergebnis:
Würde der Aufzug gebaut werden, könnten 7 Mietsparteien und die entspr. Anzahl von Mietern davon profitieren. Also mehr als – pardon – nur 2 oder drei ältere Personen.
Das zweite Ergebnis:
Die zwei Flügel unseres Eckgebäudes haben bisher zwei nur separat erreichbare Keller. Sie sehen die nebeneinanderliegenden, aber nicht miteinander verbundenen Treppenhäuser. Mit einem Aufzug, der bis in den Keller fährt, wäre auch der zweite Kellerbereich von innen her erreichbar.
6. Schritt, Recherche
Wir versuchen nun das Haus in seiner Geschichte zu erfassen.
Die ersten Planungen gab es im Jahre 1880.
Das runde Treppenhaus und ein nicht mehr vorhandenes Treppenhaus sehen wir auf einer Zeichnung von 1888.
Für 1888 ist auch der Ausbau des Daches zu einem Fotoatelier belegt. Heute ist das Dach fast vollständig ausgebaut und bewohnt.
Für die Zeit um 1935/36 ist der Einbau moderner Bäder und die Aufstockung eines Dachbereiches dokumentiert.
Und eine weitere wichtige Information: Das Haus wurde im Krieg zwar nicht zerstört aber durch die Erschütterungen und Einstürze in der Umgebung mußten in dem Treppenhaus, am Rande des Treppenauges Stützen angeordnet werden. Das heißt, egal ob Aufzug oder nicht, Stützen sind in jedem Fall erforderlich.
7. Schritt, Zwischenbilanz
Wie so oft haben beide Seiten, Amt und Bauherr, gute Gründe für ihre jeweilige Meinung.
Das Gebäude hat einen hohen baugeschichtlichen, künstlerischen und stadtbildprägenden Wert. Diese Werte müssen bewahrt werden. Aber Gebäude müssen sich auch an veränderte Lebensbedingungen anpassen und an neue Nutzungsgewohnheiten.
Jetzt begannen wir mit der eigentlichen Planung.
Nach ausführlichen Gesprächen mit der Denkmalbehörde und dem Eigentümer hatten wir rund ein halbes Jahr später folgenden Stand:
Ein Aufzug im Prinzip ja, aber in einem geordneten Verfahren, mit einer Konstruktion, die nicht in die vorhandene Substanz eingreift.
8. Schritt, Planungsbeginn
Werfen wir noch einmal einen Blick in das Treppenhaus.
Die eingebauten Stützen sind mit ca. 30 cm Breite viel zu dominant, nehmen die Helligkeit und die ursprüngliche Weiträumigkeit.
Das ursprüngliche Raumgefühl ist weg.
Die ursprüngliche Holzkonstruktion Geländer, Handlauf, Wangen und der Blick auf die Türen sind kaum noch wahrnehmbar, ganz zu schweigen von den Zerstörungen der Treppenstufen
Damit haben wir auch schon die Planungsgrundlagen
- filigraner
- heller
- transparenter und
- keine Zerstörung der Substanz.
Aufzugsfirma und Statiker haben gerechnet und getüftelt. Jeder mm wurde abgeknappst und abgezwackt.
In einem Treppenauge von 1,25 m Durchmesser eine Kabine, die Aufzugsmechanik und dann noch die Stützkonstruktion unterzukriegen ist schon anspruchsvoll.
Die Zeichnungen wurden 1:1 ausgeplottet, wir haben ein Modell gebaut um das Platz- und Raumgefühl zu bekommen und vor Ort, unter Einsatz für Leib und Leben ausprobiert.
9. Schritt, Hochspannung
Am letzten Behördensprechtag vor Weihnachten im Jahre 2008 haben wir dann unseren Entwurf präsentiert.
Statt 4 massiver Stützen gibt es jetzt 7 Normprofile 60/60 mm. Statt der massiven Querriegel gibt es der Steigung folgend, Querriegel mit 5/6 cm Querschnitt, die Verglasung ist nicht mehr quadratisch sondern vertikalorientiert und steigt mit der Treppe.
Es wird nicht mehr alles dunkelbraun gestrichen sondern das helle Gelb der Wände aufgenommen.
Der Entwurf wurde bestätigt.
10. Schritt, Friedensschluß
Der Bauantrag wurde nun ausformuliert und am 2.3.2009 gestellt.
Am 30.4.2009 wurde die Baugenehmigung erteilt.
Und seit dem 8.Mai, kurioser Weise ohnehin “Tag der Befreiung” sind auch die Ketten entfernt.
11. Schritt fällt erstmal aus
Nachdem nun alle schon so schön zufrieden und glücklich waren klingelte wieder einmal das Telefon.
Die Baustelle meldete sich in einem Zustand gewisser Aufregung: “Herr Wolff, die Denkmalpflegrin war vorhin hier. Sie hat gesagt, das geht so nicht. Das ist ja eine Katastrophe. Sie müssen unbedingt rauskommen.”
Wie Sie sehen: Es gab eine mittlere Katastrophe. In dem guten Glauben im Auftrage des Bauherrn selbigem auch noch einen guten Dienst zu erweisen hatte der Tischler damit begonnen die zerstörten Stufen auszubessern.
Nur, das helle, was sie hier sehen, ist Epoxydharz.
Das ist so wie Fisch mit dem Messer essen oder …
Wieder intensive Erklärungs- und Überzeugungsarbeit bei den Beteiligten: Holz kann nur durch Holz ersetzt werden.
Wenn andere Materialien zum Einsatz kommen, dann nur in besonderen Fällen, in eng abgegrenzten Bereichen und nach vorheriger Absprache.
Nun auch das hatten wir irgendwann geschafft.
Und endlich konnte montiert werden.
11. Montage
Am 8. Juli begann dann endlich die Montage.
Die ersten Teile werden angeliefert
Der erste Teil des Gerüstes wird in die Schachtgrube abgesenkt. Zum Vergleich sehen Sie noch einmal die Ausgangssituation und den künftigen Zustand.
12. Fazit
In der Gegenüberstellung sind der Ausgangszustand und der Endzustand im Erdgeschoß, also Eingangsbereich, im Zwischenbereich und am oberen Abschluß dargestellt.
Im Denkmalschutz ist sicherlich vieles viel schwieriger, aber es lohnt sich nach Lösungen zu suchen und sie lassen sich im Allgemeinen auch finden. Voruntersuchungen, Bestandserfassungen sind aufwändig aber notwendig.
Denkmalpfleger und Bauherren sind beidermaßen verträgliche Menschen. Sie müssen nur manchmal erst zueinander finden. Eigentlich wollen ja alle Beteiligten das Gleiche.
Sicherlich kann man sich farblich und bei einigen Details auch etwas andere Lösungen vorstellen. Aber einem, nun sagen wir eigenwilligen Bauherrn, darf und muß man hin und wieder auch einige Freiräume hinsichtlich eigener Gestaltung überlassen.
Der Aufzug fährt. Bauherr und Amt reden – wieder – miteinander. Und die angedrohten Prozesse und Strafen sind auch erledigt.
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