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Umbau eines Mehrfamilien-Reihenhauses in einer Wohnsiedlung

Von: 12inster_admin34534

Ein Vortrag Wilfried Wolffs, welches zeitens des Kolloquiums leider nicht gehalten werden konnte.

Denkmalschutz in der Praxis — Bauwerke: erkennen verstehen verändern

1. Begrüßung

Es geht in meinem Vortrag um kein berühmtes Bauwerk, kein architektonisches highlight und kein Frühwerk von Wagner, Gropius oder Scharoun.

In meinem Vortrag soll unsere Arbeitsweise, der Umgang mit Gebäuden im Bestand vorgestellt werden. Der Vortrag steht daher unter dem Titel Bauwerke erkennen verstehen verändern
Es handelt sich um ein ganz normales Haus, ein Reihenhäuschen, aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Architektur und Tragkonstruktion sind eher schlicht und sparsam. Es wurde in einer der vielen zu dieser Zeit entstandenen Siedlungen errichtet. Die Finanzierung erfolgte auf genossenschaftlicher Grundlage, so wie auch die in die Welterbeliste eingetragenen Siedlungen der Moderne.
Der folgende Vortrag soll den Weg vom Bauherrenwunsch über die Bauforschung und den Entwurf zur Realisierung zeigen. Wie können wir mit dem so eng erscheinenden Korsett, von Auflagen und Verordnungen, sowohl den Bauherren, den Verordnungen und, hierfür sind die Verordnungen letztlich erlassen, dem Erbe der Allgemeinheit gerecht werden. Wie können wir die vorhandene Bausubstanz, und die Qualität eines Denkmals liegt ja auch in seiner materiellen Originaltät, weitgehend schonen und erhalten.

2. Vorstellung des Objektes

Beginnen wir mit der Vorstellung des Objektes.
Wir befinden uns im östlichen Randbereich von Berlin, einem typischen Gebiet von Ein- und Mehrfamilienhäusern. Das Haus, genauer gesagt das 2. von links, ist ein Reihenhaus, knapp 6 m breit, ca. 10 m tief, mit Keller, Erdgeschoß, Obergeschoß und einem bisher nicht ausgebautem Dachgeschoß.

3. Aufgabenstellung

Das Wohnhaus, das die Bauherren kurz zuvor erworben hatten, sollte umfassend umgebaut und modernisiert werden. Hierzu gehörten:

  • neue Fenster und Türen
  • Ausbau des bisher ungenutzten Daches
  • neue Elektro-, Wasserver-und -entsorgung
  • die Heizung sollten komplett neu installiert werden
  • der Kellerfußboden sollte im gesamten Haus tiefer gelegt werden, um möglichst zusätzliche Räume zu gewinnen
  • im Dachgeschoß sollen alle Stützen entfernt werden

4. Allgemeine Randbedingungen

Neben den Bauherrenwünschen waren zu beachten:

  • Die Bauordnung Berlin
  • Das Denkmalschutzgesetz
  • Die vom zuständigen Bezirk erlassene Gestaltungssatzung
  • technische Regelwerke, z.B. die DIN-Vorschriften
  • die vorhandene Bausubstanz
  • und natürlich nicht zu vergessen die Finanzen

Da wir uns im Bestand befinden sind sowohl die aktuellen Vorschriften zum Wärme-, Schall- und Brandschutz als auch die alten Vorschriften der Bemessung und Konstruktion einzuhalten und/oder zu berücksichtigen. Auch sind die Materialeigenschaften und die Traditionen der Bauausführung aus dieser Zeit zu beachten.

5. Planungs- und Arbeitsgrundlagen
5.1 schriftliche Quellen

Bevor wir die konkreten Zeichnungen und den Bauantrag formulieren müssen wir uns mit dem Bauwerk vertraut machen.
Hierzu dienen uns:

  • die schriftlichen Quellen
  • das Gebäude selbst, Außen und Innen
  • die Umgebung

Punkt 1, die Zeichnungen zum Bauantrag aus dem Jahre 1919, ein Lageplan, eine Ansicht, Grundrisse.
Betrachten wir sie ausführlicher: Der Lageplan

Unser Gebäude gehört zu einer Siedlung. Entsprechend erkennen wir die Systematik der Bebauung. Sie in ihrem Charakter zu bewahren ist Gegenstand der schon erwähnten Gestaltungssatzung.

Ansicht und Grundriß zeigen die für diese Siedlungen typische strenge Symmetrie

  • in der Grundrißaufteilung
  • in der Gebäudeanordnung
  • Lage der Innentreppen
  • Fenster und Fensterladen
  • Schornsteine u.s.w.

5.2 Das Bauwerk als Quelle

Wir nutzen jetzt das Bauwerk selbst als Quelle.
Wenn wir bestehende Gebäude untersuchen, geschieht das immer mit den Fragen:

  • Was ist bauzeitlich?
  • Was ist nachträglich?
  • Welche Veränderungen lassen sich nachvollziehen?
  • Welche Veränderungen sind reversibel?
  • Welche Veränderungen verträgt das Bauwerk, architektonisch und statisch?

5.2.1 Das Bauwerk von Außen

Was verrät uns die äußere Erscheinung des Bauwerkes?
Wie nicht anders zu erwarten, lassen sich bereits von Außen diverse Veränderungen erkennen.

  • straßenseitig wurden die beiden äußeren Gebäude gedämmt  völlig unsensibel
  • die alten Sprossenfenster wurden gegen Thermofenster ausgetauscht
  • Wir haben eine neue Haustür, nur einfach verglast
  • hofseitg wurden kleinere bzw. am Nebengebäude große Anbauten errichtet
  • und auch hofseitig wurden die Fenster ausgetauscht.
  • Unser Gebäude ist verputzt, Kratzputz vermutlich 70er Jahre, nicht bauzeitlich
  • Die Dachdeckung besteht aus Schindeln

Beim genaueren Betrachten der Fassade fällt sofort auf, daß Breiten, Höhen, Sprossenteilung, die Anordnung von Rolladen u.s.w. in jedem Haus anders sind.
Noch zwei Details sind wichtig bevor wir ins Innere gehen.

Die Eingangstür besteht eigentlich aus zwei Türen. Eine frühe Form energetischer Sanierung. Die Außenwand hat im Bereich der Nischen zwei Schalen Mauerwerk. Und der Sockel besteht nicht aus Klinkern, sondern aus dünnen Riemchen aus den 90er Jahren.

5.2.2 Das Gebäude von Innen

Innen arbeiten wir uns vom Dach zum Keller vor.

  • Die Dachkonstruktion besteht aus Sparren und Pfetten und einer Holzschalung
  • In die einzelnen Ebenen führt eine an der Trennwand zum Nachbarn gelegene Holztreppe
  • In den oberen Etagen finden sich Gasaußenwandheizung und Kachelöfen – mal direkt auf der Dielung, mal auf eigenem Fundament
  • Die Fußböden zeigen Holzdielung

Im Keller finden wir eine alte Kochmaschine, Stufen und einen gemauerten Waschkessel. Stufen und Kochmaschine lassen uns weiterforschen. Nach dem Entfernen der Kochmaschine wird unser Verdacht bestätigt.

Der ursprüngliche Kellerfußboden wurde bereits tiefergelegt. Nach dem 2. Weltkrieg, als die Stadt in Trümmern lag und Wohnraum knapp war, wurden in vielen Häusern Obdachlose und Flüchtlinge untergebracht. Hierzu wurden oftmals Souterrains oder Keller verwendet, wie in unserem Fall. Wohnraum und Küche waren eins. Durch die Tieferlegung konnte man wenigstens in einem Raum aufrecht stehen. Mehr war zu dieser Zeit nicht möglich.
Nach dem Entfernen sehen wir rechts die Fundamente. Fundamente, die aus locker geschichtetem Kalksteinbruch bestehen und nur bereichsweise durch Mörtel miteinander verbunden sind. Da die Fundamente in den übrigen Bereichen kaum besser sein dürften sind weitere Gedanken der Bauherren an eine Tieferlegung der angrenzenden Räume erledigt. Wir vermörteln die Fehlstellen und lassen die übrigen Bereiche so wie sie sind.

Der Statiker nervt nun mit weiteren Fragen

  • Die Wand im Obergeschoß ist lt. Zeichnung nur 12 cm dick

    Das Aufmaß bestätigt diesen Wert. Da die Lasten aus Decken und Dach und künftig auch aus dem ausgebauten Dach aufgenommen werden müssen haben wir ein Problem. Halbsteindicke Wände sind keine tragenden Wände.
    Wir nehmen einen Teil der Dielung im Dachgeschoß auf, was ohnehin erfolgen muß. Wir finden da wo die Wand sein sollte einen Holzbalken. Auf diesem liegen die Deckenbalken auf.Über dem Sturz der Tür im OG finden wir eine klassische Holzverbindung, Riegelanschluß mit Versatz und Zapfen.
    Damit ist klar, wir haben keine Halbsteinwand aus Mauerwerk sondern eine ausgemauerte Holzständerkonstruktion. Die ist nun wieder ausreichend tragfähig.
    Und noch eine Frage des Statikers.

    • Warum?, fragt er ist auf der Zeichnung die Wand zum Nachbarn mit 12 und 12 cm vermaßt und nicht mit 24 cm. Eine Bohrmaschine 8 mm Bohrerdurchmesser gibt Antwort. Auf der Zeichnung nicht erkennbar, hat jedes Haus eine 12 cm dicke Wand zum Nachbarn. Genauer, 2 Mal 12 cm + Luftschicht. Das ist gut für den Schallschutz aber schlecht für die Statik. Damit ist ein weiterer Bauherrenwunsch erledigt, das Entfernen aller Stützen im Dachgeschoß. Ersatzkonstruktionen, die von einer Wand zur nächsten spannen können diese Wände einfach nicht aufnehmen.

    5.3 Das Gebäude von Außen, das Umfeld
    Dritter und letzter Untersuchungsbereich ist die Umgebung der städtebauliche Zusammenhang in dem sich unser Objekt befindet.
    Verluste durch Zerstörung oder Abriß haben wir glücklicherweise nicht zu verzeichnen.
    Wie schon gesagt, unser Gebäude wurde als Teil einer Siedlung errichtet. Und für diese Siedlung gilt eine Gestaltungssatzung. Grundsätzliches Ziel dieser Satzung ist es den Charakter der Siedlung nach

    • äußerer Gestalt wie Fensterart, Fenstergröße, Fensterteilung
    • Kubatur wie Länge, Breite, Höhe, insbesondere Traufhöhe, Dachform
    • Materialität wie Putz, Dachdeckung

    zu erhalten oder nach Möglichkeit in den ursprünglichen Zustand zu versetzen.

    Was finden wir?

    • Mit Ausnahme einer brutalst möglichen Gebäudeerweiterung, die ursprünglichen Gebäudegeometrien
    • daneben: Ein Dach mit Schieferdeckung
    • darüber, bereits erkennbar modernisiert, Ziegeldeckung und jeweils zwei kleine übereinanderliegende Dachflächenfenster
    • daneben, Ziegeldeckung und am SchornsteinSchiefer, was ja nun eigentlich nicht zusammengehört.
    • die letzten noch erhaltenen originalen Fensterläden
    • und schließlich, wie bei unserem Nachbarn, Fenster in der ursprünglichen Teilung

    Ein Wort zur Dachdeckung. Wir haben die verschiedensten Deckungen gefunden, Ziegel, Schiefer und, wie auf unserem Dach, Pappschindeln.
    Welche Deckung ist nun die Originale?

    Wir beraten uns mit einem erfahrenen Dachdecker. Und in der Tat. Wir können davon ausgehen, daß die Schindeln auf unserem Dach frühestens nach dem 2. Weltkrieg angeordnet wurden. Es gab sie 1919 noch gar nicht. Und da wir eine komplette Holzschalung haben, scheiden auch Ziegel mit ziemlicher Sicherheit als Originaldeckung aus. Somit können wir davon ausgehen, daß unser Haus mit Schiefer gedeckt war. Hier nun können wir im Interesse der Bauherren einen Kompromiß mit dem Amt finden. Die Bauherren dürfen ihr Dach mit einer Deckung aus Schindeln erneuern.

    5.3 Zusammenfassung der bisherigen Vorplanungen

    Unser Wohnhaus stammt aus dem Jahre 1919

    • Die innere Raumstruktur entspricht, mit Ausnahme der Fußbodenabsenkung im Keller dem ursprünglichen Bauzustand
    • Sämtliche Tragglieder, Wände, Decken und Dachkonstruktion wurden mit den geringstmöglichen Querschnitten konstruiert. Große Kräfteumlagerungen kann die Bausubstanz damit nicht vertragen.
    • Die Dachdeckung ursprünglich aus Schiefer, die vermutlich die gesamte Siedlung geprägt hat, wurde durch Pappschindeln ersetzt
    • Die bisher in der Siedlung vorgenommenen Änderungen haben, mit einer Ausnahme, die straßenseitigen Gebäudeformen kaum verändert.
    • Die ursprünglichen Gestaltungselemente, insbesondere Fenster, Türen, Fensterladen lassen sich ohne größere Probleme wieder anordnen.

    Jetzt können wir an den eigentlichen Entwurf gehen. Wir kennen die konstruktiven und statischen Möglichkeiten des Hauses und wir kennen die ursprüngliche Gestaltung.
    Bauherren und Bauamt werden sich schnell einig.

    6. Der Entwurf

    Aus den dargestellten Bauherrenwünschen und den Ergebnissen unserer Untersuchungen ergibt sich der hier dargestellte Entwurf.

    • Fenster und Türen werden entsprechend den ursprünglichen Proportionen und den ursprünglichen Sprossenteilungen wieder hergestellt.
    • Die Hauseingangstür wird dem historischen Vorbild weitgehend angenähert.
    • Die Gaube wird in ihrer Größe belassen,  straßenseitig werden nur jeweils zwei kleine Dachflächenfenster angeordnet. Diese waren auch nur deswegen genehmigungsfähig weil bereits in anderen Dächern der Nachbarbebauung ähnliche Fenster angeordnet wurden, wie auf der vorhergehenden Folie gezeigt, und somit wieder eine gewisse Einheitlichkeit hergestellt wird.
    • Die wirkliche großen Fenster werden auf der Hofseite angeordnet. Da wir hier direkt an den Wald angrenzen, ist die Beeinträchtigung des Ensembles gering.
    • Natürlich werden auch wieder Fensterläden angeordnet.

    7. Das Ergebnis

    Das vorläufige Ergebnis:


    Fenster, Gaube, Tür und Dachdeckung sind dem historischen Vorbild bzw. der Nachbarbebauung angeglichen.
    Sollten Sie die Fensterläden vermissen, so haben Sie recht. Die werden angeordnet, wenn die Fassade, zusammen mit dem Nachbarn energetisch saniert wird.

    Und noch einige Bilder vom Innenausbau:

    altes und neues Dachgeschoß

    altes und neues Erdgeschoß

    alter und neuer Keller

    8. Zusammenfassung

    Gebäude, besonders alte Gebäude und Denkmale sind wie sensible Organismen.
    Wir versuchen behutsam mit ihnen umzugehen, sie möglichst vorsichtig zu untersuchen und erst nach einer gründlichen Diagnose zu operieren.

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