Kategorien

May 2024
M T W T F S S
« Aug    
 12345
6789101112
13141516171819
20212223242526
2728293031  

Wie kam Ostpreußen zum Neuen Bauen?

Von: 12inster_admin34534

Ein Vortrag von Dimitri Suchin, gehalten am ersten Tage des Kolloquiums.

Altostpreußen galt seit je her als ein kunstfernes Land: Künstler wurden dort geboren und wanderten aus, auf nimmer Wiedersehen. Doch obgleich — oder gerade deswegen, weil die vielen Tauts, Möhrings, Kollwitzs, Mendelsohns und andere nicht zu Königsberg berühmt wurden, sondern etwa in Berlin oder andernorts; auch wenn — oder gerade weil ein Ostpreußisches Künstlerbund nicht etwa in Ostpreußen, sondern in Berlin residierte; die erste Kunstschau bis 1916 auf sich warten ließ, dergleichen BDA und Werkbund (einen AIV hingegen gab es zwar schon, auf Wanderschaft, in keiner Stadt gab es genügend Mitglieder für eine gescheite Ortsgruppe), trotz all´ dieser Widrigkeiten behaupte ich, die Preußische Provinz des Königreiches Preußen war stets ein Land des Neuen Bauens.

Seit 1300 schon.

Nur daß es nicht immer so hieß.

Mag es auch nie ein Herkunftsort einer Baugesinnung gewesen sein, standen die Laboratorien auch stets andernorts, verlief die Entwicklung auch nur in Schüben, und lag Ostpreußen selten im Rampenlicht, so bekam die Provinz doch immer die Spitzen der europäischen (Stadt)Baukunst, machte sie sich zu eigen und behielt immer wieder so lange in Benutzung, bis sie erst ob der Rückständigkeit ihrer altpreußischen Zöpfe belächelt, dann der Treue bewundert und schließlich ob der Originalität des unverändert erhaltenen und jetzt wieder von der “großen Welt” neu entdeckten und wieder geschätzten Erbes des “neuen Bauens” vieler Epochen gepriesen wurde.

Natürlich ging es einher mit der Behauptung mancher kaiserzeitiger Experten, es gebe hier nichteinmal Baudenkmäler, keine Denkmalpfleger — nur die nicht weiter zu beachtenden Maurermeister oder sonstige Nichtdiplomierte, was neue Architekturimporte aus den Hauptstädten begünstigen sollte. Die Wissenden fuhren indes schon hin, um die rein gebliebene Burgbaukunst fern der Schnörkel und Zier zu studieren, um die Siedlungskunst Friedrichs den Großen zu erleben usw.

Wir wollen uns gewissermaßen auf denselben Weg nachmachen und die letzte Welle abstecken: wir schreiben das Jahr 1914. Zu Köln findet die 10-Jahres-Schau des Deutschen Werkbundes statt. Man verwirklicht Programmatisches und malt sich schon bleibenden Einfluss auf Jahrzehnte hinaus aus. Doch es komme anders, die Ausstellung unterbricht der Krieg. In der Fachrezeption bleibe bestenfalls ein Glashaus von Taut — dabei hatte die Ausstellung reichlich mehr zu bieten! Die neuen Fabrik- und Theaterbauten, das rheinische Dorf — sollten sie alle ohne Folgen sein?

Die These: als bald darauf in Ostpreußen die große Bauaufgabe des Kaiserreiches anstand, 60000 Teilschaden und 41400 Vollschäden aufzurichten, war die verblüffende Gemeinsamkeit und die Einmaligkeit des Wiederaufbaues — vielfältig, und doch aus einem Guß — nur dadurch möglich, daß die vielen von überall her hineinströmenden Architekten gewissermaßen notgezwungen nach DWB-Maß bauten.

Andernorts im Reich herrschte hingegen Bauverbot. Und nach dem Kriege hatte man wiederum andere Sorgen.

Ostpreußen war die einzige kriegszertörte Provinz des alten Reiches, und zudem fast ohne eigene Architekten: wie wiederaufbauen? Die Sache dem Fluß zu überlassen wäre viel zu fahrlässig: schon vor dem Kriege war die Provinz dabei, ihre Eigenart durch — jawohl! — Handwerkerhand einzubüßen:

Nach einigem Hin und Her ersann man sich des Mittelweges, ohne eines großen Architektenwettbewerbs, doch auch ohne des Staatsbauamts, ohne der großindustriellen Wiederaufbau-GmbH, doch auch ohne die Allmacht des Lokalmauerers, oder des genialistischen Alleinkünstlertums: bei allem Streben nach Größe und Güte war fester Boden unter den Füßen eisernst geboten.

Daß dies mitnichten eine Absage an weitsinnige Fortentwicklung eigener Traditionen sei, wird augenblicklich ersichtlich, wenn man die Ausführungen Hugo Haerings zum Gut Garkau — Haering war ja auch mit dabei! — mit den Reden des ab 1. Oktober 1914 amtierenden Oberpräsidenten der Provinz, Adolf Max Johannes Tortilowicz von Batocki-Fiebe, vergleicht, sowie denen seines Leiters des neuen Hauptbauberatungsamtes, Geheimen und Baurats Friedrich Paul Fischer.

Das Zerstörungsgebiet teilte man in Bezirke auf — erst 12, am Ende waren es ihrer 24 — und stellte Bezirksarchitekten an ihre Spitze, von Fischer persönlich ausgewählt: eine öffentliche Ausschreibung gab es nicht. Kurt Frick-Hellerau holte er beispielsweise vom Heer und auch Paul Kruchen-Buch, den Krankenhausbauer und friedenszeitigen Dozenten der TH Charlottenburg. Dieser nahm einen Hans Scharoun mit — vielleicht werden Fischer die Zeichnungen aufgefallen sein?

Die neuen Bezirksarchitekten sollten Praktiker, keine Theoretiker, geschweige denn Beamte sein, und die Hauptzüge des Wiederaufbaus in ihren jeweiligen Bezirk bestimmen. Gut nachrechnen sollten sie können, wo es um die Mittelfreigabe für die Wiederaufbauanträge ging, Sie sollten Baueingaben überprüfen, mit Vorzustand abgleichen, Verbesserungen vornehmen, Entschädigungszahlungen anweisen und noch den Bau überwachen — zu verhindern hatten sie den althergebrachten ertwerfenden Maurermeister: Entwurfsverfasser müßten sich von nun an verpflichten, in keinerlei Beziehung zum ausführenden Unternehmer zu sein.
Auch die Bezirksarchitekten selbst sollten nicht entwerferisch tätig werden — einzig auf dem Lande, oder wenn kein Architekt sich für den Auftrag finden ließ, oder wenn öffentliche Gelder im Spiel waren…
Doch bei den Entschädigungen waren überall öffentliche Gelder im Spiel!

So kam es, daß einige Bezirksarchitekten — wie etwa Frick, in Stallupönen — beinahe in Alleinregie die Stadt bebauen dürfte, die Wiederaufbauten mit dem Kaiser höchstpersönlich besprach, mit ihm sich gar stritt und im Januar 1918 noch ein Eisernes Kreuz am schwarz-weißen Bande verliehen bekam… Mit am Tisch saß auch Paul Kruchen, doch seine Stellung war weniger kreuzverdächtig — doch ohne ihm und die seinen wären die vielen schönen Entwürfe bloße Makulatur.
Geld alleine baue die Häuser nicht auf, doch woher nehmen, wenn die Männer im Felde stehen? Kruchen soll als erster den Einfall gehabt haben, denselben Händen, die die Häuser zerstört, auch die Wiederherstellung aufzuerlegen — bei tüchtiger Führung. Schon bald gab es ein dichtes Netz kleinerer und größerer Baulager, die die ganze Proving überzogen: die Landwehr-Wachleute wurden zu Polieren.
Ihre Zentrale stand in Stallupönen.

Als Mitarbeiter der Bezirksarchitekten kamen auch an die 500 meist junge “Bauanwälte” ins Land: der bisher fehlende Salz in der Suppe, die kritische Architektenmasse. Kaum verwunderlich, daß die Gründung des ostpreußischen BDA-Verbandes just in diesen Zeitraum fällt (Ende Juli 1915, Leiter Konservator Professor Dethleffsen). Hans Scharoun trat noch im selben Jahr ein.

Er (links im Bild sich am Tisch abstützend) war schon dabei, eine “Architektenvereinigung der in den Baukompagnien tätigen Kameraden” zu Insterburg zu gründen, mit einer Bibliothek, einer Modell- und Literatursammlung usw. — und kam sie auch nicht zustande, so gab es unter seiner Mitwirkung einen Insterburger Kunstverein (gegründet 1919—1920), die “Erste Kunstschau der Stadt Insterburg” (eröffnet 31. August 1919), einen “Verein für anstädige Architektur” usw. usf.

Diesem Pulk meist junger Leute stellte man 400 Millionen Friedensmark Wiederaufbaubeihilfen aus kaiserlicher Privatschatulle zu Verfügung (ein Familienkleinhaus kostete als Neubau zwischen 4—6000 Mark), allen Opfern sprach man staatliche Entschädigungen zu. Überall entstanden patenschaftliche Verbände der Ostpreußenhilfe. Vom Finanzministerium gab es 1 Million zur Verbesserung der Ortsbilder, die der Oberpräsident zu 20 000 Mark je Stadt verteilen dürfte (höhere Beihilfen — nur nach Beratschlagung mit Berliner Zentralbehörden); es gründeten sich Umlegungskomissionen, die die schmalen, ein-zwei-metrigen Hofstellen, die zur neuen Bebauung außerstande waren, umverteilte. Lex Adickes (Enteignungsgesetz) kam zur Anwendung; Straßen wurden durch die tiefen Grundstücke gelegt und neues Bauland mitten in den Altstädten erschlossen.
Auch die Stadtgrenzen wurden neu geordnet und zuweilen mit einer Palisade abgerundet.

Zugleich wurden strengste Regeln wider jeder Verschwendung wurden erlassen. Manches war gar nicht nötig vorzuschreiben, in der Friedenszeit war bereits die neubiedermeierliche Einfachheit der “Kulturarbeiten” und “um 1800” im Anzuge; im Krieg war man von manchen Fremdstoffen abgeschnitten, und nicht zuletzt hatte man ungelernte Bauhelfer aus Kruchens Kompagnien zur Hand, denen allzu detailfeine Arbeiten nicht anzutrauen waren — doch auch der amtliche Nachdruck zur Sparsamkeit ließ nicht nach.
Es donnerte einen “Sparsamkeitserlaß” (Verbot der Spiegelgäser oder der Linoleumläufer, der Vertafelungen und der unnütz massiver Balkenkonstruktionen) — und zugleich gab es einen Sanitätspaket (Verbot der Wohnungen unter 36 m2, der übermäßigen Grundstücksbebauung oder der Geschoßhöhen unter 2,80 m im Lichten).
Wenn das kein Zeichen des neuen alten ostpreußischen Dirigismus wäre, wie ihn die Magister und die Könige schon hatten?

Typische Kirchen: zerstört und wiederaufgebaut.

Beste Freiheiten — bei strengster Observanz. Wollte man seine Stadt schön bauen, suchte der aufgeklärte Bürgermeister oder Bezirksarchitekt nach neuen Wegen — und die neue Baulehre half ihm dabei: da kamen nicht nur die Bücher Steinmetz´, die “Grundlagen zum Bauen in Stadt und Land“, oder eben die “Kulturarbeiten” — oder der “Aufruf zum farbigen Bauen”. Nebenher ging die Einrichtung der Kleinsiedlungsgesellschaften und der Erlaß der Gestaltungssatzungen: es nimmt nicht Wunder, daß etwa der Insterburger Bürgermeister Dr. Hermann Otto Rosencrantz (1916—1920) sich unter die Architektenschaft mischte und preiswertes doch abwechslungsreiches Bauen förderte. Dazu später mehr.

Schon zu Januar 1917 waren etwa 13000 Häuser wiederaufgebaut; Ende 1918 waren es ihrer 42368.

An den neuen Bauten kam auch Kritik auf: viel zu vereinheitlicht wäres sie, ohne jegliche Individualität. Mancher sprach gar von “Geschmackdiktatur” der Bezirksarchitekten.
Doch Muthesius sah z.B. in “diese wiederaufbauende(n) Tätigkeit… die erste Arbeit des neuen Deutschlands”, eines kunstsinnigen und gesellschaftlichen und pickelhaubenfreien Deutschlands.
Dabei befand er sich in bester Gesellschaft: auch später erkannte man so manchen derer, die durch die kriegszeitige Ostpreußenschule gingen an dieser besoderen Herangehensweise.
Scharoun war einer davon.

Aus gegebenem Anlaß gehen wir nur kurz auf die Geschichte der Siedlung Kamswykus ein.

Die erste Meldung von diesem Vorhaben besitzen wir aus dem Jahre 1920, als die Beamten-Wohnungsbaugenossenschaft Siedlungsbauten mit Gartenland errichten wollte. Ins gleiche Jahr fallen die ersten Baugenehmigungen, erst für die eine Straßenseite, dann für die andere, daraufhin für das eine jetzt abgängige Haus an der Bahnbrücke, wenig später für das Haus hinter ihm (nunmehr Postamt), welches 1924 fertig ward. Die Stadtvillen sollten etwa um dieselbe Zeit hinzugekommen sein.

Die Bauherrschaft war gemischt, einige Häuser gehörten der Genossenschaft, andere der Kleinsiedlungsgesellschaft der Stadt, das fehlende Haus schließlich der Reichsbahn —doch mit Recht kann behauptet werden, daß ein Gutteil am Zustandekommen dieser Siedlung dem Bürgermeister Dr. Hermann Otto Rosencrantz zuzuschreiben sein wird.

Rosencrantz war nicht nur der Schirmherr der “Insterburger Kunstschau” und Zeichner des Tauts “Aufrufs zum fabigen Bauen”: er ließ vor den Stadttoren, jenseits des Bahngrabens, eine Siedlung mit damals doch recht unüblichem, wenn auch vielfach gefordertem bunten Anstrich entstehen, ein Quäntchen eher als es Taut im Bunten Magdeburg vermochte.

Später bemängelte Scharoun einiges an seiner ersten Signaturarbeit — die Firma, die den 2. Bauabschnitt aufführte, stellte “zuviel Material in Rechnung, was aber in der Geldentwertung der Zeit unterging”, und dann auch noch von minderer Qualität — doch es waren diese Häuser, die er bei der Berufung zur Breslauer Akademie als sein Können-Beweis mit anführte. Schon in Breslau, ließ er sie noch 1926 in Farbe aufnehmen — eine Seltenheit jene Tage!

Ein weiteres Bauwerk ließ Scharoun in Farbe ablichten, das “Germaniagarten” — leider existiere von dieser Wohnanlage “Am Parkring 1” nichteinmalmehr die Straße!
Der Baubeginn wird Juni 1924 sein, der Bauherr war die Allgemeine Wohnungs-Baugenossenschaft. Ende des Jahres war das Haus bewohnt: im Gesellschaftsvertrage mit Franz Boßmann stellt Scharoun dem gemeinsamen Büro 3 der 7 Zimmer zur Verfügung; er baute also ein Haus und zog hochselbst mit Büro darin ein, wie später in Siemensstadt oder Charlottenburg-Nord.

Scharouns Gemeinschaftsbüro ist bis 1927 am Parkring verzeichnet.

Es gab auch mehr Scharounsche Planungen in und um die Stadt, doch die meisten sind etweder verloren oder nichteinmal gebaut worden: umso wertvoller ist die Substanz, die an der Bunten Reihe erhalten blieb und, so ist zu hoffen, uns beizeiten noch mehr interessante Details verrät, sobald gründlich untersucht.
Bis zu ihrem Hundertsten ist nicht mehr viel Zeit!


Nach dem Vortrag gab es eine Fragerunde:


Kommentieren