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Wachstumsfenster

Von: 12inster_admin34534

Man kannte den Rythmus: des Frühlings wurden die Winderfenster aushangen, des Herbsts die Ritzen mit Watte abgedichtet, jeden dritten Sommer gabs den Neuanstrich und in der Winterzeit kam der Frost mit seinen Fensterblüten: gebe es denn etwas altvertrauteres als das gute Fenster in seinem Holzrahmen?

Einfache und Doppelfenster, zum Klappen und Schieben, sie gingen stets mit der Zeit, dienten als Kühlkasten und als Blumenkasten, und störte einmal eine Geranie beim Fensteraufklappen, so wurde umgehendst die obere Luftungsklappe geboren. Vertraute Fensterformen sind in Ostpreußen allerdings ausgesprochen jung, ihre Verbreitung fällt mit den Hilfswerkstätten zusammen, die ab 1917 das “Normalfenster” zur Massenware machten. Der Sparsamkeitserlaß von 1920 schrieb Kleinstgläser vor: hier war Ersatz einfacher zu beschaffen, als etwa bei großen Vitrinengläsern, zudem galt noch der Biedermeier als erstrebenswert, und “um 1800″ die meistbeliebte Zeit.

Heutige Zeiten sind anders, PVC ist das Maß aller Dinge. Sauber ist es mit ihm, licht und warm, kein Lüftchen stört die Ruh… die Grabesruh?

Altfenster, aus Holz und Metall, Isolierfenster und selbst Kastendoppelfenster unsterschieden sich in ihrer Wärmeleitfähigkeit kaum von der Ziegelrohwand. Ertüchtigte man diese, stellte sich heraus, daß Luftunsflügel im Grunde überflüssig waren: “Ritzenlüftung” führte reichlich Frischluft hinein, und Heizen tat man förmlich “aus dem Fenster heraus”. Bessere Gläser, doppelte und dreifache Isolierverglasung, gasgefüllt oder vakuumiert, bringen bessere Werte und größeren Glasanteil — den sie allerdings gleich wieder Wett machen, da auch Umfassungsrahmen anwachsen müssen, dem gewachsenen Gewicht entsprechend. Mehrfache Dichtungslippen, fast schon hermetisch in der Wirkung, zwingen den Luftzug endlich in die Knie — und der Bewohner muß wieder Lüften lernen, denn im nunmehr warmer feuchter stehender Luft gedeihnt neben ihm auch noch der Schimmel.

Dabei haben wir die Denkmalschutzbelange noch gänzlich außer Acht gelassen — was wenn noch diese uns ins Gewerk pfuschen? Ist es gar unmöglich,modernen Wohnkomfort mit altvertrautem Außeren zu vereinen?

  • Eine der Möglichkeiten wäre, die bestehenden Fensterrahmen zu ertüchtigen. Machbar, aber vom zweifelhaften Erfolg, denn die angedachte Innendämmung macht vollkommen andere Anschlüsse erforderlich. Außerdem sind die stets umworbenen Methoden, in ein altes Fenster neue Dichtungen einzufräsen, nie vom dauerhaften Erfolg.
  • Eine weitere Möglichkeit ist es, alte Profile neu aufzubauen und mit neuem Glase zu bestücken — manche Altprofile sind stark genug dazu (“Kneer-Südfenster”).
  • Weiterhin ist es möglich, neue stärkere Profile in der Wand zu verstecken. Dazu wäre die Fensternische aufzustemmen — was allerdings bei gegebener Steingüte keineswegs sicher erscheint.
  • Statt am Fensterholz konnte am Glase experimentiert werden, mit Vakuum (“Pilkington”) oder Folien (aus Amsterdam bekannt). Dies schlägt sich allerdings mit aller Macht auf den Kosten nieder.
  • Hinter dem alten undichten Fenster konnte auch ein neues aufgebaut werden, mit allen Glastricks die heutigentags dazu gehören. Die Beispiele sind zahlreich (“Schüco“), die Vorteile zahlreich: das alte Fenster übernimmt den Wetterschutz, die Temperaturspannungen hingegen werden vom neuen Fenster übernommen. Somit ist das alte Fenster klimanonstant — in solcher Umgebung greift der Rost niemanden mehr an!
  • Nirgends stehe es verordnet, daß die Rahmenprofile nicht in die Tiefe wachsen können, um Dichtungen und Halterungen unterzubringen — selbst “um die Ecke” können sie dies, in die großangewachsenen Fensternischen hinein (“Kneer-Südfenster”).
  • Schließlich gebe es noch die Möglichkeit sich mit dem neuen Baustoff anzufreunden, anstatt ihn anzufeinden, selbst wenn die wahrheitsliebenden Denkmalschützer einen dafür steinigen wollen würden: auf Bestellung sind historische Profile auch aus PVC möglich, und die Zahl ihrer Hersteller steige. Manche sind bereits so gut, daß man ihre Werke kaum vom Original unterscheiden könne.

Wie auch immer die Planerentscheidung ausfalle, wichtig ist es alle Seiten des Problems anzugehen, die Heizkontur in ihrer Ganzheit. Es lohne sich, auch unlösbare Fragen zu stellen, denn dies werden sie alleine Heute sein — morgen sind sie zukunftsweisende Bauprodukte und Motoren der (Bau)Wirtschaft.

Vielleicht gewinnen wir einmal auch die Eisblumen zurück.

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