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Hugo Kaufmann redivivus: Zur Rekonstruktion des Stadtparks

Von: 12inster_admin34534

Erläuterungen Professor Jürgen Wenzels zu den bei der Burgkonferenz am 10.10.2011 vorgestellten Arbeiten, in der überarbeiteten Fassung von 16.10.2011 und 13.11.2011.

J.Wenzel mit Frau und Mit-Urheberin N.Kunitzkaja, W.Wlassow und O.Sidorenko bei der Besprechung am Vorabend der Konferenz. Burg Insterburg, 9.10.2011

Im Sommer 2010 hatte Professor Czeczot in einem Vortrag im Tschernjachowsker Schloß eine wirtschaftsgeographische Unterscheidung zwischen einer “Peripherie” und einer “Provinz” vorgenommen. Er definierte: eine Peripherie hängt von einem Zentrum ab, das sie aussaugt, so dass sie stagniert. Eine Provinz dagegen entwickelt sich unabhängig von einem Zentrum durch die Nutzung ihrer endogenen Potentiale, durch ihren Naturreichtum, durch ihre Geschichte, ihre regionalen Traditionen und örtlichen Initiativen. 2010 hatte sich Tschernjachowsk entschlossen, nicht länger auf das ferne Moskau zu warten, sondern mit einem kreativen Experiment, dem InsterJAHR, begonnen. Ich hoffe, dass auch unsere diesjährige Arbeit zum Erfolg dieses Experiments beiträgt.
Ich stelle ihnen zunächst die Ergebnisse des diesjährigen Landschaftsplanungsseminars vom Juli vor. Die Studenten aus Tartu/Estland, des Kollegen Kuhlmann haben einen Vorschlag in zwei Schritten für den Siegespark und einen zur Verwendung der Baumspende vorgelegt, der, wie ich hörte Berücksichtigung fand. Die Münchner Studenten der Kollegen Hennecke und Schöbel nahmen die Kompetenzprobleme zwischen den Verwaltungen der Stadt und des Rayons zum Anlass, beiden konkurrierenden Verwaltungen differente Aufgaben vorzuschlagen.
Der Kreisverwaltung sind 12 umfangreiche Arbeiten gewidmet, dargestellt auf 33 DIN-A-1- Blättern. Ziel der Arbeiten ist eine autonome Entwicklung des Rayons, die Wiederbelebung eines nachhaltigen, regionalen Wirtschaftskreislaufs, durch Anwendung modernster landschaftsbaulicher, land- und forstwirtschaftlicher Techniken und Verfahren. Wenn die Kreisverwaltung auch nur einen Teil der Vorschläge aufgreift, ist sie für Jahre beschäftigt ohne der Stadtverwaltung Konkurrenz zu machen. (…)
Die der städtischen Verwaltung gewidmeten Arbeiten untersuchen die Freiräume der Stadt, speziell den Stadtpark und den Leninplatz. Dabei wurden die denkmalpflegerischen Aspekte von den Studenten anders als von mir bewertet. Für sie waren die Resultate der Nachkriegsentwicklung und der aktuelle Bedarf maßgebend, nicht das historische Kaufmannkonzept. Die Bedeutung des Parks als wichtiges Gartendenkmal hatte ich bedauerlicherweise nicht mit den Studenten diskutiert. Nachträglich haben sich die unterschiedlichen Sichtweisen jedoch als Vorteil erwiesen, denn sie bereicherten die folgenden Vorentwurfsplanungen; der Park soll ja nicht nur ein kulturelles Monument sondern auch benutzbar und beliebt sein.


Vorentwurf Variante I:

Lenin am Alten Markt

Die Abteilungsleiterin von Kultur, Sport und Jugend Frau Swetlana Koschewnikowa hatte mich gebeten zu prüfen, ob man zwischen dem Schloßteich und dem Leninplatz ein offenes Freilichttheater (Amphitheater) mit 3000 Plätzen anordnen könne. Wie erste Versuche zeigten, reichen weder die vorhandene Fläche noch das Relief, dh. die Höhendifferenz, für eine Anlage dieser Größenordnung aus. Ich habe daher die gewünschte Platzzahl halbiert, also für 1500 Besucher geplant. Aber auch hier ging es nicht ohne einen zusätzlichen Erdwall für die notwendige Terrassierung.

  1. Sommertheater der 1500
  2. “Grüne Mauer” am Leninplatz
  3. Caféneubau mit Bühne und WC
  4. Bootsverleih mit Aussichtsplatz, Burgsicht
  5. Kinderspielplatz
  6. Burg
  7. Kulturfabrik, Brauerei mit Ausschank, Biergarten
  8. Spielwiese
  9. Uferpromenade
  10. Winterhalle für Boote
  11. Jahrmarktplatz


Wenn eine solche Anlage im Grundriss im Maßstab 1:1000 noch als möglich erscheint, zeigt die Ansicht im Maßstab 1:200, dass auch sie, selbst in dieser reduzierten Größenordnung den Ort vergewaltigt, einmal ganz abgesehen von den enormen Erstellungs- und kontinuierlich hohen Erhaltungskosten. Ich schlage vor dieses Projekt nicht weiter zu verfolgen. Eine bescheidenere Lösung wird in Variante II vorgeschlagen.

Die in dieser Variante I dargestellte einfache Promenadenbepflanzung wurde nach einer Luftbildansichtskarte der 20er Jahre gestaltet.


Vorentwurf Variante II:

  1. “Grüne Mauer” am Leninplatz
  2. Caféneubau mit Bühne und WC
  3. Bootsverleih mit Aussichtsplatz, Burgsicht
  4. Flreiluft-Kammerspiel, ca. 150 Plätze
  5. Burg
  6. Kinderspielplatz
  7. Kulturfabrik, Brauerei mit Ausschank, Biergarten
  8. Spielwiese
  9. Uferpromenade
  10. Winterhalle für Boote
  11. Jahrmarktplatz
  12. Blumenterrassen
  13. Schwimmende Fontäne
  14. Wörter aus gestutztem Buchsbaum
  15. Steingarten

Beide Teiche müssen entschlammt werden, sie erhalten so die von Kaufmann vorgegebene Uferkontur und Flächenausdehnung zurück. Die Promenadenausbildung und -bepflanzung entspricht der kaufmannschen Planungsvorgabe. Die Anzahl der Zugänge zum Park werden erhöht, wie auch Kaufmann dies vorsah. In dieser Variante ist der Hang unterhalb des Lenindenkmals durch Sitzstufen und vorgelagerten Staudenrabatten terrassiert — ein “Naturtheater”. Unterhalb des Kaufhaus “Wester” ist ein Ausstellungsgelände geplant. Auch in diesem Entwurf ist ein Neubau mit einem Café mit Terrasse am Wasser, ein Bootsverleih und ein Kleinkinderspielplatz vorgesehen, daneben ein Wassertheater (150 bis 200 Plätze) mit schwimmender Bühne nach Berliner Vorbild.

Die ehemalige Lederfabrik könnte in eine kleine Brauerei umgewandelt werden, die Bier nur für den eigenen Ausschank produziert; angeschlossen ist ein großer “Biergarten” am Wasser (nach dem weltweit bekannten bayerischen Erfolgsmodell). In Berlin sind derartige, in ehemaligen Fabriken angesiedelte Unternehmen außerordentlich erfolgreich. Häufig sind sie mit einem kulturellem Angebot (populäre Musikveranstaltungen, kleine Theaterstücke, Cabaret etc.) verbunden; für sie hat sich die Bezeichnung Kulturbrauerei eingebürgert. Auch aus der alten Lederfabrik könnte eine vielbesuchte, lebendige Kulturbrauerei werden.

Exkurs 1:

in Tschernjachowsk wird kein eigenes Bier gebraut, für das aber Insterburg über Jahrhunderte berühmt war. Bereits in der Gründungsurkunde der Stadt von 1583, die die Rechte und Pflichten der Stadtbürger regelt, sind lange Passagen der Braukunst und dem Bier gewidmet. Daher hatte ich Alexei Oglesnew, dem “Schloßherren” vorgeschlagen eine kleine Brauerei in den Räumen des Schloßareals zu integrieren. Erstens ist dafür kein Platz vorhanden und zweitens ist jeder selbst für die Realisierung seiner Vorschläge verantwortlich, antwortete er mir. Ich habe daher in Berlin dieses Geschäftsmodell studiert und die Überzeugung gewonnen, dass es in Tschernjachowsk sehr erfolgreich praktiziert werden könnte (Anfragen an mich!).

In dem angrenzenden langen Gebäude am Ufer hatte ich das Bootswinterlager vorgesehen. Es ist dafür jedoch viel zu groß und wird besser abgerissen. Die Pläne für die Bebauung an der Kaliningrader Straße und an dem Schloßteich sind dargestellt soweit sie mir bekannt sind. Unterhalb des geplanten Gebäudes ist ein kleiner Platz als wichtiger Parkzugang vorgesehen, dessen Funktionen noch näher zu bestimmen wäre. Auf der anderen Straßenseite, am Gawehnschen Teich wird z.Z. ein großes Multifunktionsgebäude errichtet. Da Tschernjachowsk für jede Neuinvestition dankbar sein muß, ist dem Unternehmen Erfolg zu wünschen.

In den Plänen ist auf dem angrenzenden Parkgelände jedoch eine Tiefgarage dargestellt, mit einem Broderieparterre und einem Sommercafé auf dem Dach. Für die Stadt ist diese Planung ist aus mehreren Gründen fragwürdig. Sie zerstört an dieser Stelle die naturräumliche Situation. Der enge Talraum zwischen den baumbestandenen Hängen die den Teich einrahmen, öffnet sich vor der Brücke zu einem weiten Raum. Diese Öffnung und die Verbindung mit der Stadt ist ein wesentliches Merkmal der kaufmannschen Konzeption. Wie die geplante ca vier Meter hohe Garagenmauer aus Beton den Parkcharakter an dieser Stelle beeinträchtigen, ja zerstören würde, zeigt die skizzierte Ansicht im Maßstab 1:500. Auch gehört ein Broderieparterre nicht in einen Park der zwanziger Jahre. Zweifelhaft ist ebenfalls das vorgesehene Sommercafé, denn wer wird vier Meter hoch auf das Garagendach steigen, wenn er stattdessen seinen Capuchino in einem Café unter Bäumen am Wasser trinken kann? Es handelt sich offensichtlich um ein Alibiprojekt, das nach ein/zwei Jahren Mißerfolg auch wieder geschlossen werden kann, die Garage aber würde bleiben.

Exkurs 2:

Der Sportplatz des Stadions an der Angerapp ist nach Angabe von Direktor Nikolai Luzenko häufig unbenutzbar, da die Vorkriegsdrainage nicht mehr funktioniert und daher das Feld zu vernäßt ist um bespielbar zu sein. Es wäre aufwendig bei zweifelhaftem Erfolg, das bestehende Drainagesystem sanieren zu wollen. Neue Drainagerohre, das sind ja nur einfache geschlitzte Plastikröhren, kosten nur ein paar Rubel. Die Stadt könnte den Investoren des o.g. Neubaus Kaliningrader Ecke Gartenstraße anbieten die Rohre zu verlegen und mit ihrem Bodenaushub das Oval des Sportstadions um 50 cm zu erhöhen. Denn der Bodenaushub wurde bisher in das Parkgelände geschüttet, ist nach der Fertigstellung des Gebäudes abzutransportieren und das Gelände auf dem vorherigen Niveau wieder zu renaturieren. Die Investoren wären ihr Problem mit dem Aushub los und wären die großzügigen Wohltäter, dem Direktor Luzenko wäre geholfen, der Stadt entstünden kaum Kosten und Vereine und Schulen hätten einen benutzbaren Sportplatz.

Auf dem Schräghang zwischen Neubau und der ebenen renaturierten Wiesenfläche schlagen wir einen großen Schriftzug gestaltet aus Buchsbaum (buxus sempervirens Polar) vor, unterstrichen von einem roten Blumenband. Es ist an diesem “Stadtentree” zugleich ein Gruß an die Stadtbesucher und eine Werbung für das Unternehmen. Die Kosten für die beiden Orte beiderseits der neuen Brücke sollten die Investoren der Neubauten als Sponsoren übernehmen. Auf der anderen Seite des Gawehnschen Teiches ist ein Steingarten (Alpinum) eingezeichnet.


Für den Schützentalpark gibt es bereits einen Plan von 2008, ein einfaches Zuordnungsschema, das weder die Topographie, noch die Geschichte noch die räumlichen Strukturen des Ortes und auch nicht die funktionalen Anforderungen ausreichend berücksichtigt. Für die Parkrekonstruktion ist es wenig hilfreich.

Gelb — Fußwege; Hellrot — Treppen und Plätze; Dunkelrot — Bauten und Anlagen; Blaustrich — Parkgrenze; Rotstrich — Entwurfsgrenze

  1. Sommercafé
  2. Fontäne
  3. WC
  4. Fußgängerbrücke
  5. Konzertmuschel

Das Schützental hat derzeit nur geringe Aufenthaltsqualität. Der Baumbestand ist zu dicht, die Wiesenflächen sind nicht zu benutzen. Durch eine Verminderung des Baumbestandes ist für seine Durchlüftung und Durchsonnung zu sorgen. Es empfiehlt sich also die Auslichtung der Waldhänge, die Initiierung einer neuen waldbodendeckenden Vegetation (Farngärten?) und die Aufwertung des Wiesengrundes um die Tschernuppe.

  1. Garten der blauen Irisse, Teich und Biotop
  2. Staudengarten
  3. Erneuerte Kaskade mit Skulptur (Hercules)
  4. Spielwiese
  5. Kinderspielplatz
  6. Teehaus
  7. Offizierscasino mit Aussichtsterrasse
  8. Antik- und Flohmarkt
  9. Anglerbalkone
  10. Farngarten
  11. Tschernuppe-Wiese
  12. Aussichtsplatz, Blick auf den gesamten Tschernuppe-Tal

Dominierendes Parkelement ist die große Querachse, eine Treppenanlage, die vom ehemaligen Kleinbahnhof zum neuen Markt führt. Diese funktionale Bedeutung als Parkdurchquerung hat sie eingebüßt. Auch fehlt die, die Anlage einst krönende Monumentalskulptur. Professor Czeczot hat heute für ihre Wiedergewinnung einen Wettbewerb angeregt. Spontan würde ich für eine Herkulesskulptur plädieren, angesichts der großen Aufgaben (zwölf waren es die Herkules zu bewältigen hatte), vor denen sich Tschernjachowsk gestellt sieht. In unserem Plan habe ich statt der Schmuckanlage, die Kaufmann anstelle eines Tümpels und einer Sumpfwiese angelegt hatte, einen kleinen Iristeich, ein Feuchtbiotop, eingezeichnet und durch einen Staudengarten ergänzt. Vor dem Teich hatte Kaufmann eine Skulptur vorgesehen, ich schlage vor, hier seinen Porträtkopf auf einer Stele aufzustellen. Der Hang unterhalb der kleinen Bastion ist ein beliebter Spielort, der durch einige Einrichtungen bereichert werden soll. Für die Jugendlichen sind zwei Kleinspielfelder vorgesehen, für die Eltern ein Sommerteepavillon. Der Markt für Trödler und Sammler und die Terrassen des Kulturhauses sind auf den Park zu beziehen. Im hinteren Parkteil wird der kaufmannsche Spielplatz rekonstruiert. Am Ende des Tales gibt es eine beeindruckende monumentale Stützmauer und eine raffinierte sehenswerte “Wasserkunst”, die rekonstruiert werden sollten. Von einer kleinen Plattform oberhalb der Mauer hat man einen weiten schönen Blick durch das Tal.

Exkurs 3:
Der hintere Talraum ist durch intensive Gerüche belastet. Die Wasser der Tschernuppe sind offensichtlich durch Fäkalien verunreinigt, die durch den Bach in die Teiche transportiert werden. Bekanntlich drohen den Parkbenutzern (Kindern, Anglern) Durchfallerkrankungen (Salmonellen) oder sogar schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen (Kolibakterien). Hier ist dringend schnelle Abhilfe erforderlich, d.h. die Einschaltung des Gesundheitsamtes oder eines Spezialisten (Hygieniker).

Ein Vorentwurf, wie der für den Stadtpark, enthält nur die Informationen, die notwendig sind, um eine Idee verständlich zu machen, er ist eine Diskussionsvorlage. Anhand dieser Vorlage wollten wir von der Stadtverwaltung fehlende Informationen z.B. Besitzverhältnisse erfragen und die gemachten Vorschläge diskutieren. Wir waren daher sehr überrascht, dass kein Vertreter der Stadtverwaltung an den Projektvorstellungen teilnahm.

J.Wenzel mit N.Kunitzkaja und G.Saborskij bei der abschließenden Fischsuppe; Burg Insterburg, 10.10.2011

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